Montag, 8. Februar 2016

Auf der Suche nach dem Vater - Whistleblower und Ökologie



Jonathan Franzen
Unschuld
rowohlt 2015

Bekannt ist der amerikanische Autor Jonathan Franzen, Jahrgang 1959, besonders auch in Deutschland durch seinen 2001 erschienenen Roman „Korrekturen“ geworden, für den er zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhielt. Franzen, der Germanistik auch in Berlin studierte, hat unter dem Titel „Unschuld“ einen Roman vorgelegt, dessen Handlung zur Zeit des Niedergangs der DDR 1989/90 spielt. Es handelt sich keinesfalls um einen amerikanisch-deutschen Gesellschaftsroman, da der Autor ein Handlungsgeflecht komponiert hat, das sich kunstvoll zwischen den Kontinenten und zusätzlich in Bolivien entfaltet.

Das hört sich kompliziert an, ist es aber nicht. Also, worum geht es? Pip Tyler, mit vollständigem Vornamen „Purity“ (Unschuld), sucht verzweifelt nach ihrem Vater. Die sonderliche und zurückgezogen lebende Mutter verrät ihr weder den Grund der Scheidung, noch Namen und Adresse des Vaters. Die junge Pip aber bleibt hartnäckig und macht sich auf die Suche. Mit einer glänzenden Passage hat Franzen die sicherlich von der Mutter vermittelte Gemütslage der jungen Frau charakterisiert: 


„Noch nicht gelernt hatte sie, wie sie es anstellen sollte, nicht zu wollen, dass einer nett zu ihr war. Die Nicht-Netten hatten ein besonderes Talent dafür, das zu spüren und auszunutzen. Deshalb war weder den Netten noch den Nicht-Netten zu trauen, und zudem war sie nicht sehr gut darin, die beiden Sorten auseinanderzuhalten, bevor sie mit ihnen im Bett gewesen war.“
   
Auf Umwegen lernt sie den in Bolivien lebenden deutschen Whistleblower Andreas Wolf kennen, der in einem DDR-Wendezeit-Kapitel mit der treffenden Überschrift „Die Republik mit dem schlechten Geschmack“ charakterisiert wird. Wie oft bei Franzen endet ein Kapitel mit dem Hinweis auf eine künftige Handlung, deren Akteur, wie sich herausstellen wird,  in einem engen Verhältnis zur Hauptperson steht. Auf diesem Wege schleicht sich das disparat anmutende DDR-Wendezeit-Kapitel in die Geschichte Pips ein.


Pip verdingt sich in Denver als Journalistin und steigt auf zu einer brillanten investigativen Reporterin. Das führt sie schließlich nach Bolivien, wo sie Andreas Wolf kennenlernt. Von diesem Zeitpunkt an verdichtet sich das Netz zwischen ihr, dem Whistleblower Wolf und dem Chef-Redakteur Aberant in Denver. Allmählich gewinnen die Bezugsfäden an Transparenz, und man ahnt plötzlich, wer der Vater sein könnte. Aber das Ahnen führt die Leser in die Irre - oder vielleicht doch nicht? Die turbulenten Ereignisse, voll von Überraschungen und urkomischen Szenen, erinnern manchmal an barocke Theaterstücke - einerseits. Andererseits drängen die  Hintergrundthemen „Whistleblower“ oder „Ökologie“ als handlungstragende Pfeiler in den Vordergrund. In dieses Szenarium sind familiäre und intime Probleme meisterhaft eingebettet, insofern nicht nur die politischen sondern auch die aus der aktuellen Weltlage resultierenden privaten Zerwürfnisse von den Akteuren kontrovers diskutiert werden. Die Leser also können mitfühlen, sind sie doch in dem einen oder anderen Fall selbst in ähnliche häusliche oder gesellschaftliche Probleme verstrickt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen