Montag, 3. August 2020

Raster - Ästhetik



Die Erfindung des Rechtecks als künstlerische Form



Gerrit Rietveld, Rot-Blaue-Stuhl 1918 - Farbgebung 1923 
Foto Kluckert (Vitra, Schaudepot, Weil am Rhein)

Das Rechteck als künstlerische Form entstand nicht als spontane Aktion in den Ateliers von Künstler*innen, sondern wurde in einem langen Geburtsprozess schrittweise hervorgebracht. Diesen gilt es, zu skizzieren, und man wird erstaunt feststellen, dass die einzelnen Schritte nicht unbedingt etwas mit Kunst zu tun haben.

Um 1900 und in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts machten sich Physiker und Psychologen Gedanken um die Konkretion von Bereichen außerhalb unserer sinnlich wahrnehmbaren Welt. Diese sogenannte "Parallel-Realität" war bislang lediglich vorstellbar über Gefühle, den Glauben oder philosophische Theorien. Das war unbefriedigend. An der Frage, "was die Welt im Innersten zusammenhält" war Goethes Faust gescheitert. Einige Jahrzehnte später - der Dichter starb 1832 - hätte er erste Antworten bekommen. 

Im Jahr 1909 begann der neuseeländische Experimentalphysiker Ernest Rutherford an seinem Atommodell zu arbeiten, das er 1911 vorstellte. Er drang in Bereiche vor, die damals weder sichtbar noch konkret fassbar waren. Desgleichen der Wiener Psychiater Sigmund Freud, der bereits vor 1900 an seiner Traumdeutung arbeitete - die erste bis achte Auflage erschien zwischen 1900 und 1930. Von einer ähnlichen aber durchaus unterschiedlichen Seite näherte sich der Schweizer C.G. Jung einer "Parallel-Realität" und zwar mit seiner Theorie des kollektiven Unbewussten, das die Psyche des Menschen strukturiert, ohne das es diesem bewusst wird.

Beiden Psychiatern ging es um die Transparenz unserer Realität. Es gibt Bereiche außerhalb unserer wahrnehmbaren Wirklichkeit, die unsere Persönlichkeit prägen, wozu die Träume und das Unbewusste gehören, und das Unbewusste war für Freud das Material, aus dem sich unsere Träume gestalten.

In diesem Zusammenhang muss auch der französische Kunsttheoretiker und Dichter André Breton genannt werden, der 1924 in seinem ersten "Surrealismus-Manifest" eine objektive gegebene Realität in Frage stellte. Das, was wir geniessen oder ablehnen ist ein individuelles Konstrukt des Unterbewusstseins. Die Beurteilung meiner Realität setzt sich facettenreich zusammen und zwar aus meinen Ängsten, Hoffnungen, Sehnsüchten, Freuden usw - also aus meiner augenblicklichen Gefühlslage, so dass ich den Vollmond, den ich nächtens hinter einer Bergkette aufsteigen sehe als Bedrohung empfinden kann, wohingegen andere Personen dasselbe Ereignis mit dem Prädikat "Idylle" auszeichnen.
Genau das gehörte zum Themenkomplex der Surrealisten wie Salvatore Dali, Max Ernst oder Giorgio die Chirico. Sie inszenierten Traumwelten mit entfremdeten oder deformierten Bildelemente, schufen aberwitzige Kompositionen und gestalteten die Wirklichkeit um, machten sie fremd, aber eben nicht transparent. Sie stellten Abbilder ihrer Phantasie vor.

Die Dadaisten wie Man Ray, Hans Arp oder Marcel Duchamp - zu denen sich übrigens auch die Surrealisten zählten - gingen einen gewaltigen Schritt weiter, möglicherweise weil sie sich vom herkömmlichen Kunstbegriff verabschiedet hatten. "Dada" wurde 1916 im Züricher Club Voltaire gegründet. Künstler, Literaten, Philosophen oder Schauspieler schlugen ein französisches Wörterbuch auf und blätterten in den Seiten, bis einer der Künstler*innen einen Federkiel in die blätternden Seiten fügte. Die Spitze zeigte auf das Wort "Dada", was mit "Steckenpferd" übersetzt werden kann. Der Name Der Bewegung war geboren und zwar mit Hilfe des Zufalls.

Was ist Zufall? Etwas, das einer Person zufällt. Jedoch kennt man weder das Warum noch das Wie. Zufall ist ein Ereignis, dessen Kausalkette unbekannt und wohl auch unergründlich ist. Ist der Zufall ein Phänomen einer "Parallel -Realität"? Möglicherweise wollten das die Dadaisten ergründen. Sie experimentierten mit diesem Phänomen und ließen es zum künstlerischen Ereignis avancieren. Hans Arp hat kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs eine Art Bildserie geschaffen, die er "Collagen nach den Gesetzen des Zufalls geordnet" nannte. Er schnitt und riss graues und schwarzes Papier in kleine Blätter oder Fetzen, ließ diese auf einen großen Karton fallen und fixierte sie. Die Komposition gestaltete demnach nicht er selbst, sondern eine "Macht jenseits der Realität",Arp hat lediglich die Voraussetzungen geschaffen. Marcel Duchamp hat diesen Vorgang mit kolorierten und einen Meter langen Fäden wiederholt. Ist das Kunst? Nein, das ist Antikunst, oder gar keine Kunst - eben "Zufalls-Kunst".

Ich bin mir nicht sicher, ob die Experimente, Theorien und Aktionen von Rutherford, Freud, Bréton oder Duchamp tauglich für die Klärung des Begriffs Abstraktion sind. Sie haben lediglich beweisen wollen, dass es Wege geben kann, das Nicht-Sichtbare sichtbar zu machen. Paul Klee hat diesen Weg beschritten und in seiner "Kunst-Lehre" den Begriff des Abstrakten erörtert. Zwischen 1921-1923, spricht er in seinen Vorlesungen über das, was wir von der Natur sehen und das, was sie verborgen hält - für Klee das "Essentielle". Man sollte Schichten unserer Realität abtragen, um zu schauen, was darunter verborgen liegt. Vielleicht, so Klee, erkennen wir hier die Ur- oder Grundformen, wenn nicht sogar die Baupläne der Natur. Dieses Abtragen meint Wegnehmen, also abstrahieren (lat. abstrahere), das sehen lässt, was darunter liegt (lat. subiecere). Dieser Weg führt uns vom Abstraktum zum Subjektum, zum Wesentlichen und Eigentlichen - vor allem aber zum Individuellen.

Seine Vorlesungen hielt Klee am 1919 gegründeten "Weimarer Bauhaus", an dem er von 1920 - 1926 lehrte. Das "Wesentliche und Eigentliche" - ist es noch aus der Vergangenheit zu schöpfen, oder müssen wir uns von dieser strikt abwenden? Die Sehnsucht nach einer "Neuen Zeit", nach einer lebenswerten Zukunft, gerade nach dem verheerenden Ersten Weltkrieg, war übermächtig. 

Der Bauhaus-Gründer Walter Gropius und sein Team gestalteten ein Konzept, in dem die Künste, die Architektur, das Handwerk und das Design zu einer kreativen Einheit zusammenwachsen sollten. Vorgesehen war nicht nur eine stilistische Neuorientierung, sondern auch eine kritische Durchleuchtung der künstlerischen Tradition.

Die zwei Jahre zuvor im Jahr 1917 gegründete holländische Kunstschule "De Stijl", setzte sich entschieden von der Tradition ab. Gründungsmitglieder waren unter anderem Theo van Doesburg und Piet Mondrian. Dessen Landsmann, der Designer und Architekt Gerrit Rietveld, schloss sich 1922 der Gruppe an.

Mondrian beschleunigte den Abstraktions-Prozess mit ungewöhnlichen Kompositionen. Das scheibchenweise Abtragen vom sinnlich Fassbaren wird anschaulich in Mondrians "Apfelbaum-Serie", die schon kurz nach der Jahrhundertwende, also noch im Nachklang des Jugendstil begann. Jahre zuvor hatte er sogar noch einen Apfelbaum in impressionistischer Manier gemalt, aber mit dem im fauvistischen Stil gemalten "Roten Baum" von 1908 begann das Projekt "Vom Baum zum Raster". Später löste er das Astgeflecht auf und gestaltete reine Aststrukturen (Grauer Baum 1911), die eigenständige konstruktivistische Kompositionen vorstellten. Diese "ordnete" er als Rechtecke unterschiedlicher Größe an, um ein Raster zu gestalten. Das Ergebnis: Teilweise kolorierte grau oder schwarz gerahmte Rechtecke (Komposition von 1921). 

In den 60er und 70er Jahren war übrigens der "Design-Markt" angefüllt mit Mondrian-Mustern. Ob Möbel, Schuhe, T-Shirts, Handtücher oder dergleichen mehr - das Mondrian-Muster war gefragt, weil es poppig daher kam. Sogar der Top-Modedesigner Yve Saint Laurent (YSL) hat die Kleidermode mit "Mondrian" veredelt.

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Anmerkungen:

Mondrian Roter Baum 1908
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Piet_Mondrian,_1908-10,_Evening;_Red_Tree_(Avond;_De_rode_boom),_oil_on_canvas,_70_x_99_cm,_Gemeentemuseum_Den_Haag.jpg

Mondrian, Grauer Baum 1911
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gray_Tree_1911.jpg

Mondrian, Komposition in Rot, Gelb, Blau und Schwarz 1921
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Piet_Mondriaan,_1921_-_Composition_en_rouge,_jaune,_bleu_et_noir.jpg

Mondrian Kleid 1965 YSL
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mondrian-2017-04-22-2.jpg
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Mit seinen Arbeiten prägte Mondrian die Grundsätze der "De Stijl-Gruppe": Gefordert war eine Abkehr von der traditionellen Kunst zu einer einfachen artistischen Gestaltungsart: Farbige Rechtecke mit den Grundfarben Blau, Rot und Gelb, sowie den Nicht-Farben Weiß und Schwarz. Keine Frage, dass mit diesem Konzept auch das Tor zur Architektur und besonders zum Design aufgestoßen wurde. 
Der Holländer Gerrit Rietveld, der sich erst 1918 der Gruppe anschloss, stellte seinen im Jahr zuvor fertiggestellten Stuhl vor, der allerdings erst 1923 seine Farbe nach den Grundsätzen der Akademie erhielt. Unter dem Namen "Blue-Red" avancierte er zu einer Ikone des Möbeldesigns. 
Die "Raster-Ästhetik" seines Kollegen Mondrian war nicht nur Zitat sondern auch Kompositions-Modell.  Natürlich war gerade bei diesem Projekt der Designleitsatz "Form follows Function" (Leo Sullivan, 1896) für Rietveld verbindlich. Der Stuhl selbst scheint jedoch nach einer ersten Betrachtung diesen Anspruch nicht zu erfüllen, nämlich, bequem und gesund darin zu sitzen. Rietveld ließ sich von Physiotherapeuten und Ärzten beraten, welche Maße er für die Rückenlehne und den Sitz sowie den Sitzwinkel und die Höhe der Armlehnen wählen müsste. Das Ergebnis: Der Stuhl ist bequem. Um sich davon zu überzeugen, muss man darin Platz genommen haben.

Rietvelds Stuhl  - eine konstruktivistische Skulptur im "Mondrian-Gewand". Als Architekt blieb er offensichtlich diesem Grundsatz treu. Mit anderen Worten, es ging um ein neues Raumbewußtsein, für das die "Raster-Ästhetik" die Grundlage geschaffen hatte. Im Jahr 1924 arbeitete er mit der Bauherrin und Innenarchitektin Truus Schröder-Schräder verschiedene Entwürfe für deren Wohnhaus in Utrecht aus. Ursprünglich war ein Betonbau geplant, was aus Kostengründen aufgegeben wurde. Die Ausführung bestand aus verputztem Mauerwerk, Stahlbeton kam lediglich für das Fundament und die Balkone zum Einsatz. 

Auffallend sind die strenge Gliederung der Fassade und die konsequente Farbgebung nach dem Farbkonzept des De Stijl: Rot, Gelb, Schwarz, Grau und Weiß. Zwei Inspirationsquellen waren offensichtlich maßgebend, die Architektur Frank Lloyd Wrights und das Bauhaus. Der Berliner Verleger Ernst Wasmuth hatte 1910 eine Mappe mit Entwürfen des amerikanischen Architekten herausgegeben, die sicherlich auch im "Bauhaus" und in der De Stijl-Gruppe die Runde machten. Die klare geometrische Gliederung mit weit vorkragenden Dächern und Terrassen mögen eine Inspirationsquelle für Rietveld gewesen sein. 

Der Bezug zum Bauhaus wurde im Jahr 1921 vom Gründer des De Stijl, Theo van Doesburg hergestellt. Sein Credo "Architektur setzt sich zusammen aus einfachen kubischen Formen", fiel bei Gropius auf fruchtbaren Boden, da es ihm darum ging, nach dem 1. Weltkrieg möglichst kostengünstig Wohnraum für die Bevölkerung bereitzustellen. Verschiedene Kuben-Typen sollten hergestellt und variantenreich miteinander kombiniert werden. 1922 entstanden über ein Baukastensystem die sogenannten "Typenseriengebäude". Gropius formulierte den Sachverhalt folgendermaßen: "Baukasten im Großen, aus dem sich nach vorbereiteten Montageplänen je nach Kopfzahl und Bedürfnis der Bewohner verschiedene 'Wohnmaschinen’ zusammenfügen lassen. Marcel Breuer, Farkas Molnár und Adolf Meyer entwarfen Variationen zum Versuchshaus für den Baubereich "Am Horn" in Weimar. 
Die Entwürfe dürften Rietveld interessiert haben, besonders die des Versuchshauses, das viele Ähnlichkeiten mit dem Schröde-Haus aufweist. Wenn auch Theo van Doesburg ohne Lehrauftrag von Gropius lediglich geduldet wurde, hat er doch einen beträchtlichen Eindruck beim Lehrpersonal und den Schülern hinterlassen.

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Rietveld, Rot-Blaue-Stuhl 1918 - Farbgebung 1923 
Foto Kluckert (Vitra, Schaudepot, Weil am Rhein)

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:RietveldSchroederhuis.jpg
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Einer von ihnen war Marcel Breuer, der von Rietvelds "Blu Red" sehr angetan war. Von 1921-1924 studierte Breuer in der Tischlereiwerkstatt von Gropius, aus der er als "Jungmeister" hervorging und bis 1928 die Möbelwerkstatt leitete. 1925 entstand  "B3", der erste Entwurf für einen Stahlrohrstuhl, mit dem Breuers Begeisterung für Rietveld anschaulich wird. Von 1920 bis in die 60er Jahre produzierte Thonet das Möbelstück und ab 1964 Dino Gavina, der ihm den Namen Wassily Chair verlieh, da offensichtlich der Bauhaus-Meister Wassily Kandinsky vom "Clubsessel B3" begeistert war. Ab 1968 produziert der amerikanische Möbelhersteller "Knoll International" nach dem Aufkauf von Gavina den Stuhl.


Marcel Breuer, "Wassiliy"/Clubsessel B3 
Foto Kluckert (Vitra-Schaudepot, Weil am Rhein)

Dieser Essay sollte einen nicht dazu verleiten, eine Kausalkette zwischen Rutherford und Mondrian zu knüpfen, so als ob die "Raster-Artistik"  des Künstlers ohne das Atommodell des Physikers nicht denkbar gewesen wäre. Es geht um etwas anderes, um die Suche nach Bereichen unserer Wirklichkeit, die konkret nicht fassbar, wohl aber denkbar und dann eben doch anschaulich vorgestellt werden können. Diese Fragen haben um 1900 Vertreter der Natur- und Geisteswissenschaften, sowie Künstler bewegt. Sie sind fündig geworden, beispielsweise mit dem Atommodell, dem Kollektiven Unbewussten, der Konkretisierung des Zufalls oder der Parallel-Realität "Abstraktion": Bei Monet, Seurat oder Picasso sind die Bildelemente autonom geworden und haben damit eine eigene Wirklichkeit, eine Farb- oder Kunst-Wirklichkeit entstehen lassen. 

Die Abstraktion endete bei Mondrian und Rietveld mit der Erfindung des Rechtecks als künstlerische Form.







Dienstag, 16. Juni 2020

eBook: Rembrandt-Krimi


Ehrenfried Kluckert

Die Rembrandt Revanche

Ein kunsthistorischer Krimi, 2020




Michael Holzer promoviert am Kunsthistorischen Institut der ehrwürdigen Universität Floringen über das Erzählen in Rembrandts Gemälden. Dank eines Stipendiums recherchiert er in Amsterdam und wird schließlich mit der Hilfe eines Franziskanerpaters fündig. Die Dokumente sind sensationell. Die entsprechenden Kopien werden auf seinen Namen an das Floringer Institut gesendet, da er in wenigen Tagen nach Napoli fliegen muss, um Informationen für einen Reiseführer zu sammeln. In Napoli verliebt sich Holzer in die Kunsthistorikerin Daniela Monti. Allerdings hat er in Floringen kurz vor seiner Abreise nach Amsterdam eine Beziehung zur Institutsassistentin Dr. Carola Veil begonnen. Doch der SMS-Austausch mit ihr ist wenig befriedigend. Immer wieder fragt er nach, ob die Amsterdamer Dokumente das Institut in Floringen erreicht haben, was offensichtlich nicht der Fall ist.
Nach seiner Rückkehr in Floringen beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel um die Rembrandt- Dokumente, in dem Ordinarius Fremer, ein hochgeschätzter Leonardo-Forscher, verwickelt zu sein scheint. Fremer, eine zwielichtige Gestalt, wird von Holzer verdächtigt, sich die Dokumente angeeignet zu haben. Kurz zuvor wurde Fremer sogar mit dem Selbstmord eines Studenten in Verbindung gebracht. Hängt das eine mit den anderen zusammen? Tage später - die Katastrophe. Sie löst ein Showdown in Napoli und in einem ehemaligen Renaissancepalast oberhalb von Sorrent aus.
Das eBook ist für 4,99 Euro bei Amazon Kindle zu erwerben. Bevor Sie das Buch kaufen, können Sie sich eine kostenlose Leseprobe (etwa 10-20 Seiten) auf Ihren Reader hochladen lassen.

Blick ins Buch



Die Leseprobe finden Sie hier

Donnerstag, 7. Februar 2019

Botschaft und Bedeutung 5 Antwerp Diamond


Zur Ikonografie der Architektur von Zaha Hadid (1950-2016) 
Das Dach ist ein Schiff. Das Port House in Antwerpen (2007-2016)



Foto Hélène Binet

Nach der Ausschreibung des neuen Port House in Antwerpen, gewannen im Jahre 2007 "Zaha Hadid and Architects" aus London den ersten Preis. Neun Jahre später, im September 2016, konnte die Fertigstellung gefeiert werden. Es waren gedämpfte Feiern, denn die Architektin konnte an der Einweihung ihres Gebäudes nicht teilnehmen. Sie starb ein halbes Jahr zuvor. 

Architekten aus aller Welt waren begeistert - wie bei fast jedem der neu erstellten Gebäude von Zaha Hadid. Journalisten wetteiferten um treffende Formulierungen, die das Gebäude charakterisieren sollten. Vielen ging es allerdings nicht um sachliche Erklärungen, sondern eher um akrobatische Wortgebilde, wie etwa "Hightech-Wolkenbügel", "spekulative Bildmontage", "spiegelnde Diamantenoptik", oder gar "Gebäudezwitter" - Kurzum: kurzlebige, subjektive Bewertungen als Kapitulation vor dem Fremden, dem Noch-Nie-Gesehenen.

Wie steht es um rationale Kommentare, also Erklärungen, die dem Zaha Hadid-Gebäude gerecht werden? Grundsätzlich beginnt jedes Bauprojekt mit den vier W-Fragen: 

  1. Was soll gebaut werden?
  2. Wo soll gebaut werden?
  3. Wer ist der Auftraggeber?
  4. Wie soll gebaut werden? 

Es geht also um den Gebäudetyp, den Standort, den Bauherren und das Design. Letzteres hängt in erster Linie vom Bauherren ab, denn es stellt sich die Frage: Welche Botschaft möchte er mit dem Gebäude vermitteln. 

Genau das ist für Zaha Hadid der entscheidende Ansatzpunkt. Wenn man sich in ihrem Architektur - Universum auskennt, weiß man, dass sie in erster Linie die Umgebung des Standorts, die unmittelbare und die ferne Nachbarschaft, sowie die Geschichte des Areals im wahrsten Sinne des Wortes "bildlich" darstellen möchte. 

Viele Beispiele wären zu nennen: Etwa die Hungerburgbahn in Innsbruck (2004-2007). Ihr Design-Vorbild für die Stationsgebäude fand sie in der schroffen Alpenwelt mit spitzen Felsformationen oder träge dahinziehenden Gletscherflüssen. 
Für den Parkplatz einer Tram-Endstation in Straßburg (1998-2001) ließ sie sich von einem magnetischen Feld inspirieren. 
Im Science Center "Phaeno"(2000-2005) in Wolfsburg versuchte sie, das "Experimentierfeld Natur" in der Architektur plastisch anschaulich zu machen. Die auch als Produktdesignerin tätige Architektin hat in diesem Gebäude bemerkenswerte "3D-Bildwelten" kreiert. In vielen Fällen war es aber auch die historische Dimension, die im Gebäude sichtbar gemacht wurde.


Foto Hufton &Crow


In Antwerpen war es tatsächlich die Geschichte, die den entscheidenden Hinweis für das Bauvorhaben gab. Bei der Ortsbesichtigung auf der "Mexiko-Insel" im Hafen fand sie ein altes und nicht mehr genutztes Feuerwehrhaus von1922 vor. Ihre Kenntnis von der Geschichte Antwerpens und der wirtschaftlichen Bedeutung des Hafens, die weit in die Vergangenheit zurückzuverfolgen ist, beförderte ihren Entschluss, das Gebäude nicht abreißen zu lassen. Das entsprach auch dem Wunsch der Hafenbehörde. Die Pressesprecherin Annik Dirkx:

"Wir haben uns für den Entwurf von Zaha Hadid Architects entschieden, weil diesem Entwurf ein Wert als Spektakel innewohnt. Für die Stadt und den Hafen wollten wir ein prägnantes Wahrzeichen errichten, das eine Identität schafft, die Altes mit Neuem verbindet. Seit Jahrhunderten gehört unser Hafen zu den größten der Welt. Als Kommune streben wir eine Ausrichtung auf die Zukunft an, wir wollen innovativ und mutig sein, um unsere starke Position als globaler Player zu wahren." 
https://www.schueco.com/web2/port_house_antwerpen

In der Tat kann man die Geschichte des ehemaligen Feuerwehrhauses bis in das 16. Jahrhundert verfolgen. Es ist 1922 vom Stadtarchitekt Emiel van Averbeke im typisch hanseatischen Kontorhausstiel erbaut. Das waren um 1900 erichtete Mietbürogebäude großer Städte, vorwiegend Hafenstädte. Es sollte an das zwischen 1564 und 1569 im Kontorhausstil errichtete und 1893 durch einen Brand zerstörte Hansekontor erinnern. Das um 1700 gemalte großformatige Bild (Foto von 1953) vermittelt einen Eindruck von der Bauweise typischer Kontorhäuser der Frühen Neuzeit. Das Gemälde befindet sich heute im Rathaus der Hansestadt Bremen.


Foto: 

Die Renovierung der alten Feuerwehr erfolgte auch aus pragmatischen Gründen, ging es doch darum, für ca. 500 Angestellte der Hafenbehörde geeignete Räumlichkeiten bereitzustellen. In der großen, von den Feuerwehrwagen genutzten Halle finden die Besucher Zugang zur Bibliothek und zum Lesesaal mit Literatur zur Geschichte des Gebäudes und des Hafens. Außerdem diente sie auch dem Einbau eines Stützsystems für den abschließenden Schiffsrumpf. Von hier führen auch Fahrstühle zum oberen Erweiterungsbau.


                                      
                                                         
                                                          Foto Tim Fisher

Ein Glasdach deckt das ehemalige Feuerwehrhaus ab, das von den Seitenmauern abgestützt wird. Darüber scheint das obere Gebäude, das konstruktivistisch anmutende Schiff, zu schweben.
Jack Pauwels, verantwortlicher Direktor für das Port House bei Zaha Hadid Architects:

"Das Gewicht des neuen Gebäudes wird vollständig von zwei Betonsäulen aufgefangen, die eine in der Mitte des Innenhofs und die andere geneigt vor dem Gebäude. Die Betonbrücke verbindet die beiden Säulen an deren oberen Enden. (...) Die schwarzen Säulen im Atrium bieten seitliche Stabilität."
Zur Nutzung beider Gebäudeteile führt Pauwels aus: 
"Zur programmatischen Verbindung der Bauwerkteile haben wir uns für eine Art Sandwich-Konzept entschieden, bei dem sich die allgeneinen Bereiche, wie Auditorium, Restaurant, Foyer und Konferenzräume, in der Mitte des Gesamtgebäudes befinden und damit in die oberen Etagen des bestehenden Gebäudes sowie in die unteren Etagen des neuen Gebäudes gerückt werden."

Grafik Zaha Hadid Architects

Das Antwerpener Port House dürfte als Metapher für den Augenblick stehen, in den die Vergangenheit einfließt und die Zukunft ihren Ausgang nimmt. So verstanden, hat Zaha Hadid die Botschaft der Hafenbehörde wunschgemäß um und ins Bild gesetzt. Der wie aus Edelsteinen zusammengesetzte Schiffsrumpf dürfte ebenfalls als Hinweis auf die historisch verbürgte "Stadt der Diamanten" verstanden werden.


Foto Tim Fisher



Die Fotos zum Port House durfte ich mit freundlicher Genehmigung des Zaha-Hadid Office in London der Website:http://www.zaha-hadid.com  für diesen Post entnehmen.



Freitag, 24. August 2018

Freiburger Titanensturz

Der Titanensturz (1874) von Anselm Feuerbach im Freiburger Augustinermuseum

Das zentral gelegene Augustinermuseum gehört zu einer der vielen Freiburger Attraktionen. Das Museum geht auf ein mittelalterliches Kloster zurück, das während der Jahrhunderte mehrmals umgebaut wurde, zum letzten Mal in den Jahren von 1921-23 zum heutigen Museum.


Beeindruckend präsentieren sich in einem Saal, der die Atmosphäre eines Sakralraums vermittelt, originale Sandsteinfiguren des Freiburger Münsters. 


Im oberen Geschoss mit dem mittelalterlichen Dachstuhl überrascht ein hochformatiges Gemälde, das eine kaum zu entflechtende Torsion menschlicher Körper zeigt. Hier handelt es sich um den Titanensturz von Anselm Feuerbach aus dem Jahre 1874 - ein Entwurf für das später (bis 1879) modifizierte Deckengemälde in der Aula der Bildenden Künste in Wien.




Die Vorgeschichte
Die Titanen schälen sich aus dem Dämmer der frühesten griechischen Mythologie heraus. Sie sind die Kinder von Uranos, dem Himmel und Gaia, der Erde. Uranos war als Gott des Himmels und Sohn des Äthers nicht greifbar. Ein ausgesprochener Uranos-Kult ist nicht überliefert. Dagegen wurde Gaia  mit einem weit verbreiteten Kult verehrt.


Anselm Feuerbach, Titanensturz, 1874

In den beiden oberen, vom Hauptgemälde isolierten Tafeln sind links Eros und rechts Gaia sowie unten links Okeanos und ihm gegenüber Uranos vor dem Himmelszelt zu erkennen. Sie verkörpern die vier Urprinzipien der Welt.



Der griechische Dichter Hesiod (ca. 700 v. Chr.) hat in seiner Götterlehre, der sogenannten Theogonie, die Titanen Kronos, Okeanos, Iapetos, Rheia, Tethys und Themis genannt. In den beiden oberen Schrifttafeln lesen wir links "Hesiodi" und rechts "Theogonia" und in der Bogenleiste "Titanomachia", also Titanensturz.

Der jüngste Sohn, der Titan Kronos, soll auf Geheiß seiner Mutter Gaia deren Gemahl Uranos töten, da dieser die Kyklopen und die Hekatoncheiren, die Hundertarmigen, in den Tartaros verbannt hat. Für diese Tat erhält Kronos eine scharfe Sichel, mit der er seinen Vater entmannt. Das blutige Glied fällt ins Meer, dieses schäumt auf, und den Wellen entsteigt Aphrodite, die Schaumgeborene, die in der römischen Mythologie als Venus auftritt.


Wiener Deckenbild, 1879

Im Freiburger Entwurf ist die Göttin nicht zu sehen, wohl aber im Wiener Deckenbild im unteren Bereich rechter Hand. Geführt wird sie von Nike der Siegesgöttin, mit dem Lorbeerkranz in der Hand und begleitet von einer Taube. Darunter Aphrodite in einer Muschel mit mächtiger Bugwelle stehend und von Delphinen gezogen. Sie ist umgeben von Rosen und Amoretten.


Nach dem Vatermord führt Kronos zusammen mit seinen Brüdern die Kyklopen und Hundertarmigen aus dem Tartaros heraus. Um seinen Anspruch auf Weltherrschaft geltend zu machen, schickt er sie bald wieder in die Unterwelt zurück. Aus Angst vor dem Schicksal seines Vaters Uranos, nämlich vom eigenen Sohn entmachtet zu werden, verschlingt Kronos seine neugeborenen Kinder, die er mit seiner Schwester Rheia gezeugt hat. Zeus kommt davon, da Rheia den Götterknaben versteckt und ihrem Gemahl dafür einen mit Leinen umwickelten Stein in den Rachen geworfen hat.

Die Titanomachie (Titanensturz)
Zeus wächst heran und erfährt von dem Schicksal seiner Brüder und Schwestern. Er stürzt Kronos und zwingt ihn, Hades und Poseidon und seine Schwestern Hestia, Demeter und Hera freizulassen. Dann befreit Zeus die Kyklopen und die Hundertarmigen, die dem Olympier Donner und Blitz geliefert und damit entscheidend zum Sieg in der Schlacht gegen die Titanen beigetragen haben.

Man kann die Kyklopen, die Einäugigen im Freiburger Gemälde in der Mitte rechts ausmachen, wo sie unter einem vorkragenden Felsen Schutz vor den Erschütterungen der Welt suchen.


Über ihnen steht Perseus triumphierend mit dem Haupt der Gorgo Medusa, die Menschen bei ihrem Anblick zu Stein erstarren lässt. Da Perseus als Sohn von Zeus erst nach dem Titanensturz die mythologische Bühne betritt, wirkt seine Anwesenheit im Gemälde befremdlich. Die Verbindung lässt sich lediglich zu Athena, eine Kopfgeburt des Zeus, herstellen, da sie von Perseus das Haupt der Medusa erhält und damit ihr Schild prägt. Sie erkennt man über Perseus rechts neben ihrem Vater Zeus, der in der Quadriga steht, dem von vier Pferden gezogenen Streitwagen.

Im Wiener Deckenbild fehlt Perseus, um so deutlicher tritt Athena als Göttin des Krieges und des Friedens, aber auch der Weisheit hervor. Sie trägt den Medusen-Schild in der Linken und in der Rechten den Speer. Vor ihr fliegt die Eule, Vogel der Weisheit.


Sowohl im Wiener als auch im Freiburger Gemälde stehen rechter Hand unterhalb der Athena Prometheus, Sohn des Titanen Iapetos und seiner Schwester Themis. Im Gegensatz zu Athena, der Schutzgöttin, kämpft er im Untergrund mit List und Betrug gegen den Gewaltherrscher Zeus.

Das Fleisch der Rinder den Menschen, den Göttern als Opfer die Knochen

So das Credo des Prometheus. Erzürnt entzieht Zeus den Menschen das Feuer, jedoch Prometheus raubt es und bringt es zurück. Zur Strafe wird Prometheus an einen Felsen gekettet und täglich von einem Adler angefallen, der ihm die Leber zerhackt, die nächtens wieder nachwächst. Die Folter beendet der Halbgott Herakles, der den Adler mit einem Pfeilschuss erledigt.

Statt Aphrodite erkennt man im Freiburger Bild unten rechts Poseidon, Bruder des Zeus. In einer Muschel, gezogen von zwei Rössern und geführt von einer Amorette, pflügt er durch das Meer und beobachtet schadenfroh den Sturz der Feinde. Über ihm Hermes mit dem geflügelten Helm und dem Caduceus-Stab. Er, der Götterbote und Sohn des Zeus, verkündet wohl die sich anbahnende Niederlage der Titanen. Allerdings hat Feuerbach den Götterboten in der Wiener Fassung nicht berücksichtigt.


Im Wiener Gemälde steht Poseidon unten links auf einem Felsen und schaut verächtlich hoch zu den Titanen, die hinab in den auftosenden Tartaros stürzen. Dort erscheint der Zeus-Bruder Hades, Gott der Unterwelt, mit seiner Gemahlin Persephone zwischen Höllenhunden und drachenartigen Seeschlangen in seinem düsteren Reich. Im Freiburger Entwurf ist lediglich das Unterweltsgetier zu sehen.


In welchem Bedeutungskontext kann man den Titanensturz lesen? Zum einen musste Feuerbach mit der Schaulust des Publikums rechnen, und zu anderen musste er den Ort, eine Akademie, berücksichtigen. Also galt es beide Seiten zu befriedigen, die Lust am Sehen und die Neugier, wissen zu wollen, was man sieht. Wie der Künstler selbst anmerkte, sollte das Gemälde "den Sieg der Kultur über die rohen Naturkräfte" veranschaulichen. Das deutet auf die bewusste Eingliederung der kulturlastigen Götter, wie Athena, die Weise und Schützende, Aphrodite, die römische Venus, die in der Renaissance als "Venus Humanitas" vorgestellt wurde oder Hermes, der Götterbote und Wissens-Vermittler. Selbst Prometheus, der Titanen-Sohn, der gegen Zeus kämpfte und grausam zur Rechenschaft gezogen wurde, illustriert ebenfalls das Thema, da sein Aufbegehren fruchtlos blieb.

Die Schöpfung der griechischen Götter erfolgte nicht durch sie selbst, sondern durch durch Dichter und Philosophen wie Hesiod, Plato, Homer oder Aischylos zum Zweck der Erklärung der Welt. Die Kultur der Hellenen entfaltete sich zwischen dem 7. und dem 5. Jh. v. Chr. mit Hesiod und Homer. Die olympischen Götter unter der Herrschaft des Zeus brachten den Menschen die Kultur, nachdem sie die Naturgewalten verkörpernde Titanen-Generation besiegt hatten. Allerdings haben verschiedene Autoren den Göttern unterschiedliche Bedeutungen und Kulte zugewiesen, so dass eindeutige Zuordnungen kaum möglich sind. Feuerbach hat sich für eine Variante entschieden, die den Schriften Homers und Hesiods folgt.

Mit diesem Gemälde avancierte Anselm Feuerbach zu einem der bedeutenden Neoklasssizisten. Inspiriert war er zweifellos von zwei Meistern, Michelangelo Buonarotti und Peter Paul Rubens. Die manieristisch anmutenden Drehungen und Verflechtungen kopfüber stürzender Körper im vatikanischen Jüngsten Gericht (1536-41) des Italieners und des Münchener Engelsturzes (um 1650) des Flamen hat  er souverän umgesetzt in ein fast gewaltsam anmutendes Gruppenbild. Auch die Koloristik mit verhaltenen Braun-, Violett- und Grüntönen steht im Dienst der rasanten Körperbewegungen und im Geröll der berstenden Felsen.



Literatur
Grabner, Sabine: Malerei und Skulptur des 19. Jahrhunderts - 1790-1890. In: Wien, Kunst und Architektur, hrsg. von Rolf Toman, Köln 1999, S. 216-272.
Hunger, Herbert: Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Reinbek 1974
Kluckert, Ehrenfried: Mythen und Sagen, Köln 2006
Rose, Herbert, J.: Griechische Mythologie, München 1997.

Bildnachweis
Entwurf Feuerbach, Titanensturz. Mit freundlicher Genehmigung des Freiburger Augustinermuseums.

Wiener Deckengemälde:
Aula der Akademie der Bildenden Künste,Wien
Foto: Fyona A. Hallé
Die Datei ist hier zu finden
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Freitag, 22. Dezember 2017

Autor Kluckert

Auswahl meiner Titel

Dr. Ehrenfried Kluckert

Württemberg-Hohenzollern. Kunst und Kultur zwischen Schwarzwald, Donautal und Hohenloher Land, Köln, DuMont, 1985

Reise um die Welt (zus. m. G. Steckmeister), München, Prestel 1986

Neapel und Kampanien, München, Artemis 1993

Im Gäu. Durch das Land der lachenden Dörfer, Stuttgart, Theiss 1996

Vom Heiligen Hain zur Postmoderne. Kunstgeschichte Baden Württembergs, Stuttgart, Theiss 1996

Neckarreise. Biographie einer Kulturlandschaft, Stuttgart, DVA 1999

Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur Gegenwart, Köln, Könemann 2000


Reise nach Mömpelgard. Kulturgeschichtliche Streifzüge ins schwäbische Frankreich, Stuttgart, DVA, 2001

Heilige Räume. Das Himmlische Jerusalem auf Erden, Köln, DuMont 2002 Eduard Mörike. Sein Leben und Werk, Köln, DuMont, 2004

Friedrich Schiller. Sein Leben und Werk, Köln, DuMont, 2005
Mythen und Sagen, Köln, DuMont 2006


Chorgebet und Handelsmesse. Vom Alltag in den gotischen Kathedralen, Freiburg, Herder 2006 Die Kasseler Gärten. Raffinierte Perspektiven, München, Hirmer 2007

Die geheime Sprache des Universums. Himmelsbilder und Schöpfungslehre, Augsburg, Sankt Ulrich Verlag 2008

Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit". Ein Tag im Leben des Friedrich Schiller, Freiburg, Herder 2009


Die Heiligen Drei Könige und ihr Weg nach Köln, Augsburg, Sankt Ulrich Verlag 2010 

Die Intrige. Roman, Augsburg, Sankt Ulrich Verlag 2011 






Freitag, 1. September 2017

Botschaft und Bedeutung 4 the magic box

Zur Ikonografie der Architektur von Zaha Hadid (1950-2016) FLIEßENDE RÄUME - Phaeno / Wolfsburg, Science Center (2000-2005)

Blicken wir noch einmal kurz zurück auf die Stationen der Hungerburgbahn (Botschaft und Bedeutung 3), entstanden in den Jahren von 2004 bis 2007. Hier ging es Zaha Hadid um eine an der unmittelbar umgebenden Natur orientierte Gestaltung der Baukörper, die jeweils das Kristalline, das Fließende und sich Auftürmende der alpinen Landschaft verkörpern sollte. Ihr gelang es, eine neuartige Baukörper-Rhetorik hervorzubringen.
Das Wolfsburger Science Center Phaeno ist nur wenige Jahre zuvor erbaut worden - allerdings mit einem gravierenden Unterschied: Zaha Hadid plante eine neuartige und ungewöhnliche Raumaufteilung, die dem Thema des Baus gerecht werden sollten. Die Ergebnisse beider Projekte stimmen aber in einer entscheidenden Variante überein: Den fließenden Räumen im Phaeno stehen die fließenden Körper der Stationen gegenüber.



Foto Werner Huthmacher 

Das langgestreckte Gebäude ruht auf kegelförmigen Pylonen, den sogenannten Cones, die als Eingänge dienen und in denen Geschäfte oder Werkstätten untergebracht sind. In einem der Cones ist sogar ein Wissenschaftstheater installiert. 
Wie ein Raumschiff aus der Zukunft mutet das Gebäude an, das möglicherweise neue Einblicke in die Dynamik von Natur und Technik vermittelt.



Sketch/Zaha Hadid

Die Skizze von Zaha Hadid ist vielschichtig. Um einen kompakten Balken winden sich dynamische Strukturen - und nicht nur das, die wie onduliert erscheinenden Wellen-Wolken-Formationen ummanteln den Balken. Sie verweisen allerdings auf das Innenleben des Gebäudes. Unterhalb der Decke breitet sich ein riesiger Platz aus, der den Zugang zum Museum gewährt und unter anderem auch als Zufahrt in die Tiefgarage dient. 


Unterhalb des Phaeno, Foto Werner Huthmacher 


Foto Render Zaha Hadid

In diesem Modell erkennt man einen als Eingang gestalteten Trichter, der die „licht-poröse“ Decke durchstößt. Über eine Wendeltreppe gelangt man in das Science Center. In diesen Cones schießen Betonpfeiler in die Höhe, um die Deckengewölbe zu tragen.


Foto Hélène Binet

Innerhalb des Cone führt eine Treppe hinauf in das Museumsgeschoss. Auf diese Weise wandelt sich die trichterförmige Architektur in einen Außenraum, der seinerseits in einem Innenraum aufragt.  Das Innere und Äußere bieten ein faszinierendes und zuweilen auch verwirrendes Wechselspiel.



Foto Zaha Hadid Architects

Beim Betreten des Museums findet man sich umgeben von künstlichen Hügeln und streift durch Täler im Dämmerlicht oder passiert trichterartige Räume. Man wähnt sich in einem Wunderland, in einer Magic Box, die auch als Ideen-Träger dieses Bauwerks genannt wird. 
Magic Box, eine treffende Bezeichnung, gerade hier angesichts eines Vulkans, aus dem eine riesige Flamme züngelt, der sogenannte Feuertornado.
Die Natur birgt viele Geheimnisse, bis man sie entdeckt und erforscht hat, um daraus Rückschlüsse für neue Technologien zu ziehen.


        

 Foto Wolfsburg, Science Center

Der sechs Meter hohe Flamme des Feuertornados gehört zu den vielen Attraktionen des Museums. Das Besondere: Zu jeder vollen Stunde steigt der Tornado fauchend in die Höhe. Die Besucher sind begeistert und finden sich pünktlich ein.

Einen virtuellen Spaziergang durch das Science Center in Wolfsburg können Sie in phaeno.de unternehmen. Auf der informativen und  glänzend aufgemachten Website findet sich auch einen Link zum „Phaeno-Blog“.



 Foto Matthias Leitzke

Zuweilen glaubt man, in den Kegelfüßen riesige Baumstämme zu erkennen, die mit ihrem dichten Astwerk die Gewölbe der Halle tragen. 
Strukturen der Natur haben in vielen Fällen Mathematiker, Physiker oder Ingenieure zu neuen Gestaltungsweisen und Konstruktionsideen inspiriert.


                                                        Foto Hélène Binet

Zaha Hadid hebt hervor, dass die Realisation dieses avantgardistischen Bauwerks Methoden und Materialien erforderte, die für konventionelle Konstruktionen bislang noch nicht angewendet wurden. Insgesamt kombiniert dieses Projekt technische und geometrische Elemente mit einer kühnen Verarbeitung authentischer Materialien.
Unter anderem wurde selbstverdichtender Beton verwendet, der durch die Schwerkraft entlüftet wird und die Bewehrung (Stahlträger) umschließt.

Das, was man sieht, ist immer äußerlich -  sowohl der Außen- als auch der Innenraum. Die äußere Architektur des Phaeno bietet keinerlei Hinweise auf sein Innenleben. Das „Raumschiff Phaeno“ umschließt eine komplexe Welt, in der die Besucher herausgefordert werden, ihre eigene Natur in vielfältiger Weise neu zu entdecken, wobei sie oftmals mit unbekannten Phänomenen konfrontiert werden.

Die Fotos zum Science Center in Wolfsburg durfte ich mit freundlicher Genehmigung des Zaha-Hadid Office in London der Website: http://www.zaha-hadid.com für diesen Post entnehmen. 
Ein Dankeschön auch an das Service-Team des Museums, das mir zwei Fotos (Matthias Leitzke und Science Center) zur Verfügung stellte.