Freitag, 24. August 2018

Freiburger Titanensturz

Der Titanensturz (1874) von Anselm Feuerbach im Freiburger Augustinermuseum

Das zentral gelegene Augustinermuseum gehört zu einer der vielen Freiburger Attraktionen. Das Museum geht auf ein mittelalterliches Kloster zurück, das während der Jahrhunderte mehrmals umgebaut wurde, zum letzten Mal in den Jahren von 1921-23 zum heutigen Museum.


Beeindruckend präsentieren sich in einem Saal, der die Atmosphäre eines Sakralraums vermittelt, originale Sandsteinfiguren des Freiburger Münsters. 


Im oberen Geschoss mit dem mittelalterlichen Dachstuhl überrascht ein hochformatiges Gemälde, das eine kaum zu entflechtende Torsion menschlicher Körper zeigt. Hier handelt es sich um den Titanensturz von Anselm Feuerbach aus dem Jahre 1874 - ein Entwurf für das später (bis 1879) modifizierte Deckengemälde in der Aula der Bildenden Künste in Wien.




Die Vorgeschichte
Die Titanen schälen sich aus dem Dämmer der frühesten griechischen Mythologie heraus. Sie sind die Kinder von Uranos, dem Himmel und Gaia, der Erde. Uranos war als Gott des Himmels und Sohn des Äthers nicht greifbar. Ein ausgesprochener Uranos-Kult ist nicht überliefert. Dagegen wurde Gaia  mit einem weit verbreiteten Kult verehrt.


Anselm Feuerbach, Titanensturz, 1874

In den beiden oberen, vom Hauptgemälde isolierten Tafeln sind links Eros und rechts Gaia sowie unten links Okeanos und ihm gegenüber Uranos vor dem Himmelszelt zu erkennen. Sie verkörpern die vier Urprinzipien der Welt.



Der griechische Dichter Hesiod (ca. 700 v. Chr.) hat in seiner Götterlehre, der sogenannten Theogonie, die Titanen Kronos, Okeanos, Iapetos, Rheia, Tethys und Themis genannt. In den beiden oberen Schrifttafeln lesen wir links "Hesiodi" und rechts "Theogonia" und in der Bogenleiste "Titanomachia", also Titanensturz.

Der jüngste Sohn, der Titan Kronos, soll auf Geheiß seiner Mutter Gaia deren Gemahl Uranos töten, da dieser die Kyklopen und die Hekatoncheiren, die Hundertarmigen, in den Tartaros verbannt hat. Für diese Tat erhält Kronos eine scharfe Sichel, mit der er seinen Vater entmannt. Das blutige Glied fällt ins Meer, dieses schäumt auf, und den Wellen entsteigt Aphrodite, die Schaumgeborene, die in der römischen Mythologie als Venus auftritt.


Wiener Deckenbild, 1879

Im Freiburger Entwurf ist die Göttin nicht zu sehen, wohl aber im Wiener Deckenbild im unteren Bereich rechter Hand. Geführt wird sie von Nike der Siegesgöttin, mit dem Lorbeerkranz in der Hand und begleitet von einer Taube. Darunter Aphrodite in einer Muschel mit mächtiger Bugwelle stehend und von Delphinen gezogen. Sie ist umgeben von Rosen und Amoretten.


Nach dem Vatermord führt Kronos zusammen mit seinen Brüdern die Kyklopen und Hundertarmigen aus dem Tartaros heraus. Um seinen Anspruch auf Weltherrschaft geltend zu machen, schickt er sie bald wieder in die Unterwelt zurück. Aus Angst vor dem Schicksal seines Vaters Uranos, nämlich vom eigenen Sohn entmachtet zu werden, verschlingt Kronos seine neugeborenen Kinder, die er mit seiner Schwester Rheia gezeugt hat. Zeus kommt davon, da Rheia den Götterknaben versteckt und ihrem Gemahl dafür einen mit Leinen umwickelten Stein in den Rachen geworfen hat.

Die Titanomachie (Titanensturz)
Zeus wächst heran und erfährt von dem Schicksal seiner Brüder und Schwestern. Er stürzt Kronos und zwingt ihn, Hades und Poseidon und seine Schwestern Hestia, Demeter und Hera freizulassen. Dann befreit Zeus die Kyklopen und die Hundertarmigen, die dem Olympier Donner und Blitz geliefert und damit entscheidend zum Sieg in der Schlacht gegen die Titanen beigetragen haben.

Man kann die Kyklopen, die Einäugigen im Freiburger Gemälde in der Mitte rechts ausmachen, wo sie unter einem vorkragenden Felsen Schutz vor den Erschütterungen der Welt suchen.


Über ihnen steht Perseus triumphierend mit dem Haupt der Gorgo Medusa, die Menschen bei ihrem Anblick zu Stein erstarren lässt. Da Perseus als Sohn von Zeus erst nach dem Titanensturz die mythologische Bühne betritt, wirkt seine Anwesenheit im Gemälde befremdlich. Die Verbindung lässt sich lediglich zu Athena, eine Kopfgeburt des Zeus, herstellen, da sie von Perseus das Haupt der Medusa erhält und damit ihr Schild prägt. Sie erkennt man über Perseus rechts neben ihrem Vater Zeus, der in der Quadriga steht, dem von vier Pferden gezogenen Streitwagen.

Im Wiener Deckenbild fehlt Perseus, um so deutlicher tritt Athena als Göttin des Krieges und des Friedens, aber auch der Weisheit hervor. Sie trägt den Medusen-Schild in der Linken und in der Rechten den Speer. Vor ihr fliegt die Eule, Vogel der Weisheit.


Sowohl im Wiener als auch im Freiburger Gemälde stehen rechter Hand unterhalb der Athena Prometheus, Sohn des Titanen Iapetos und seiner Schwester Themis. Im Gegensatz zu Athena, der Schutzgöttin, kämpft er im Untergrund mit List und Betrug gegen den Gewaltherrscher Zeus.

Das Fleisch der Rinder den Menschen, den Göttern als Opfer die Knochen

So das Credo des Prometheus. Erzürnt entzieht Zeus den Menschen das Feuer, jedoch Prometheus raubt es und bringt es zurück. Zur Strafe wird Prometheus an einen Felsen gekettet und täglich von einem Adler angefallen, der ihm die Leber zerhackt, die nächtens wieder nachwächst. Die Folter beendet der Halbgott Herakles, der den Adler mit einem Pfeilschuss erledigt.

Statt Aphrodite erkennt man im Freiburger Bild unten rechts Poseidon, Bruder des Zeus. In einer Muschel, gezogen von zwei Rössern und geführt von einer Amorette, pflügt er durch das Meer und beobachtet schadenfroh den Sturz der Feinde. Über ihm Hermes mit dem geflügelten Helm und dem Caduceus-Stab. Er, der Götterbote und Sohn des Zeus, verkündet wohl die sich anbahnende Niederlage der Titanen. Allerdings hat Feuerbach den Götterboten in der Wiener Fassung nicht berücksichtigt.


Im Wiener Gemälde steht Poseidon unten links auf einem Felsen und schaut verächtlich hoch zu den Titanen, die hinab in den auftosenden Tartaros stürzen. Dort erscheint der Zeus-Bruder Hades, Gott der Unterwelt, mit seiner Gemahlin Persephone zwischen Höllenhunden und drachenartigen Seeschlangen in seinem düsteren Reich. Im Freiburger Entwurf ist lediglich das Unterweltsgetier zu sehen.


In welchem Bedeutungskontext kann man den Titanensturz lesen? Zum einen musste Feuerbach mit der Schaulust des Publikums rechnen, und zu anderen musste er den Ort, eine Akademie, berücksichtigen. Also galt es beide Seiten zu befriedigen, die Lust am Sehen und die Neugier, wissen zu wollen, was man sieht. Wie der Künstler selbst anmerkte, sollte das Gemälde "den Sieg der Kultur über die rohen Naturkräfte" veranschaulichen. Das deutet auf die bewusste Eingliederung der kulturlastigen Götter, wie Athena, die Weise und Schützende, Aphrodite, die römische Venus, die in der Renaissance als "Venus Humanitas" vorgestellt wurde oder Hermes, der Götterbote und Wissens-Vermittler. Selbst Prometheus, der Titanen-Sohn, der gegen Zeus kämpfte und grausam zur Rechenschaft gezogen wurde, illustriert ebenfalls das Thema, da sein Aufbegehren fruchtlos blieb.

Die Schöpfung der griechischen Götter erfolgte nicht durch sie selbst, sondern durch durch Dichter und Philosophen wie Hesiod, Plato, Homer oder Aischylos zum Zweck der Erklärung der Welt. Die Kultur der Hellenen entfaltete sich zwischen dem 7. und dem 5. Jh. v. Chr. mit Hesiod und Homer. Die olympischen Götter unter der Herrschaft des Zeus brachten den Menschen die Kultur, nachdem sie die Naturgewalten verkörpernde Titanen-Generation besiegt hatten. Allerdings haben verschiedene Autoren den Göttern unterschiedliche Bedeutungen und Kulte zugewiesen, so dass eindeutige Zuordnungen kaum möglich sind. Feuerbach hat sich für eine Variante entschieden, die den Schriften Homers und Hesiods folgt.

Mit diesem Gemälde avancierte Anselm Feuerbach zu einem der bedeutenden Neoklasssizisten. Inspiriert war er zweifellos von zwei Meistern, Michelangelo Buonarotti und Peter Paul Rubens. Die manieristisch anmutenden Drehungen und Verflechtungen kopfüber stürzender Körper im vatikanischen Jüngsten Gericht (1536-41) des Italieners und des Münchener Engelsturzes (um 1650) des Flamen hat  er souverän umgesetzt in ein fast gewaltsam anmutendes Gruppenbild. Auch die Koloristik mit verhaltenen Braun-, Violett- und Grüntönen steht im Dienst der rasanten Körperbewegungen und im Geröll der berstenden Felsen.



Literatur
Grabner, Sabine: Malerei und Skulptur des 19. Jahrhunderts - 1790-1890. In: Wien, Kunst und Architektur, hrsg. von Rolf Toman, Köln 1999, S. 216-272.
Hunger, Herbert: Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Reinbek 1974
Kluckert, Ehrenfried: Mythen und Sagen, Köln 2006
Rose, Herbert, J.: Griechische Mythologie, München 1997.

Bildnachweis
Entwurf Feuerbach, Titanensturz. Mit freundlicher Genehmigung des Freiburger Augustinermuseums.

Wiener Deckengemälde:
Aula der Akademie der Bildenden Künste,Wien
Foto: Fyona A. Hallé
Die Datei ist hier zu finden
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