Freitag, 22. Januar 2016

Rettet Mark Watney




Andy Weir
Der Marsianer 
Heyne 2015



Unter den Planeten sind es wohl Jupiter, Venus und Mars, deren Mythen auch heute noch intensiv nachwirken. Wobei die Popularität des Planeten Mars seine um die Sonne kreisenden Brüder und sogar die Schwester Venus überragt. Sie gefallen sich darin, ihre Rollen in der Musik und Literatur zu spielen, doch Mars ist schon längst entzaubert, hat seinen althergebrachten mythischen Mantel abgeworfen und ist in das Spektrum der Erreichbarkeit vorgedrungen. Geradezu mythisch aber mehr noch unheimlich mutet das Projekt einer niederländischen Stiftung namens „Mars One“ an: In etwa zehn Jahren wollen sich erste Siedler auf dem Planeten niederlassen, dessen Temperaturen von minus 125 und plus 35 Grad Celsius schwanken, und gewaltige Stürme von bis zu 400 Stundenkilometern toben. Ein Rückflugticket gibt es nicht. Ein Abschied auf immer. Muss das sein? Wissenschaftler belächeln dieses Vorhaben, und Spezialisten des JPL (NASA – Jet Propulsion Laboratory in Pasadena) arbeiten seit Jahren an einem bemannten Transfer – selbstverständlich mit einem technisch gültigen Rückfahrschein. Und genau in diesem Vorhaben verbirgt sich der moderne Mythos: Wird der kriegerische Mars akzeptieren, Menschen von Terra zu empfangen? Wird er sie vernichten, oder freundlich eine Heimreise gestatten? 
Diese nahe Zukunft wird in einem fesselnden Roman von Andy Weir beschrieben – sein Erstlingswerk und sofort ein Bestseller. Um es am Rande zu erwähnen: Das Buch sollte man in der Originalsprache lesen, auch wenn man häufig Spezialausdrücke oder Floskeln nachschlagen muss. Die Mühe lohnt sich, denn der Text gewinnt an atmosphärischer Dichte, die das Deutsche nicht zu vermitteln vermag. 
Um es vorweg zu sagen – aber das steht auch im Klappentext und wird im (deutschen) Untertitel angedeutet -: Mars kann den Besuch der Menschen nicht akzeptieren. Er vertreibt sie mit einem fürchterlichen Sturm und behält ein Exemplar dieser fremden Rassen zurück, Mark Watney. Wird er bereit und so großzügig sein, diesen Einen zurückkehren zu lassen? 
Weir hat mit bewundernswertem Fleiß technische Details recherchiert, so dass man glauben möchte, er selbst habe als NASA-Spezialist und Astronaut die dramatischen Ereignisse erlebt und tagebuchartig aufgezeichnet. Dass Details überzogen und nicht stimmig sind, beziehungsweise sein können, lassen wir gelten, denn das ist dem literarischen Genre geschuldet. Das exakte Beschreiben chemischer, physikalischer und mechanischer Abläufe zieht die Leser hinein ins Geschehen. Man wähnt sich an der Seite des Helden, Mark Watney, und ist immer wieder erstaunt, mit welcher Professionalität er der Ausweglosigkeit begegnet, auf dem Mars für begrenzte Zeit zu überleben. Er kämpft mit Mars, und manchmal rutscht es aus ihm heraus, er verdammt und beschimpft ihn, so als ob er einem gewaltigen Gegner gegenübersteht – eben dem Kriegsgott Mars, der am Mythen- Horizont aufgetaucht ist. Dann sinniert er über sein Schicksal und gibt sarkastisch zu bedenken, dass die Menschheit stolz auf ihn sein kann, denn er lebt - und zwar auf diesem toten, rostigen Planeten Mars. Während seiner Touren über die Ebenen und durch die Kratergebirge schildert er begeistert die Ausblicke und bewundert das Landschaftsszenarium, in das die Leser hineingezogen werden. Ein großartiges Panorama spielt sich während der Lektüre inwendig ab – großes Kino. Dagegen wirken die Trailer zum Film, die bei YouTube zu sehen sind, flach und blass. 
Das „schafft er es?“ begleitet jede Zeile und steigert die Spannung bei jedem Experiment, das der Astronaut ausführt, um überleben zu können. Er weiß genau, dass manche lebensnotwendigen Handlungen, deren Ausgang er kaum absehen kann, durchgeführt werden müssen. In einem Fall kommt es zur Beinahe-Katastrophe. Noch einmal Glück gehabt. Doch die Dauer seines Aufenthaltes hat sich stark verkürzt.
Immer wieder wird auf die Kommando-Zentrale der NASA umgeschaltet. Nachdem man in Erfahrung gebracht hat, dass Watney lebt und verzweifelt versucht, zu überleben, werden Pläne geschmiedet, wie man den Astronauten retten kann. Der Zeitfaktor spricht dagegen. Ein geeignetes Startfenster zum Mars öffnet sich alle 26 Monate, und die Flugdauer wird mit ungefähr 8 Monaten angegeben. 
Die Verzweiflung der NASA-Verantwortlichen, der Informations-Hunger der Medien, der mit „Rettet Watney!“ gestillt wird. Die Frage, ob man die auf dem Rückflug befindliche Besatzung informieren soll, dass Watney lebt, teilt die NASA-Mannschaft in zwei Fraktionen. Die eine wünschen, sie in dem Glauben eines auf dem Mars tödlich verunglückten Kameraden zu lassen. Die andere will unbedingt, dass die Besatzung aufgeklärt wird. Vielleicht lässt sich das Raumschiff „Hermes“ zu einem Rettungsanker umfunktionieren. Doch alle sich einig: Mark Watney wird kaum in der Lage sein, den Landeplatz der folgenden Mars-Mission „Ares 4“ zu erreichen – in einer Entfernung von 3200 km? Wird er überhaupt diese Zeitspanne von vier Jahren bis zur Landung des Raumschiffs überleben können? 
Es ist nicht unbedingt gesagt, dass diese Geschichte die Leser mit einem Happy End beglückt. Alles deutet auf das Gegenteil. Vielleicht handelt es sich hier um einen Roman, der mit der letzten Seite noch nicht abgeschlossen ist. 

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