Mittwoch, 27. Januar 2016

Deutsche Künstler in Rom - Chaos und Harmonie




Hanns-Josef Ortheil
Rom, Villa Massimo
Langen Müller 2015

Um es vorweg und kurz zu sagen: Die Deutsche Akademie Rom Villa Massimo ist eine von der Bundesrepublik installierte Kultureinrichtung, die Jahresstipendien für Künstler, Literaten, Musiker und Architekten vergibt, die über außergewöhnliche Qualitäten verfügen. Einzelheiten und Insiderwissen erfährt man im Roman Ortheils.  Der Autor ist selbst Stipendiat in der Ewigen Stadt gewesen und darf zu Recht als fundierter Rom-Kenner gelten. Sein Roman Faustinas Küsse, im Jahre 1998 erschienen, kreist um Goethes  Rom-Aufenthalt, und Ortheils unterhaltsamen und fachkundigen Streifzüge durch die Stadt sind in Rom, eine Extase von 2009 beschrieben. Doch in diesem Roman ist es ein anderer Poet, fast ein Gegenpol zum Autor, den er nach Rom schickt, so als ob er versuchen wollte, die Stadt nicht mit seinen eigenen, sondern mit den Augen eines anderen, eines so ganz und gar unterschiedlichen Menschen zu erleben. Mit dem ersten Satz stellt er uns den Stipendiaten vor: Peter Ka ist ein fünfunddreißig Jahre alter Lyriker aus Wuppertal.

Also ein Lyriker, der als asketischer junger Mann beschrieben wird und konsequent ein einsames und karges Leben führt. Das ist er der Poesie schuldig. Wenn man ihm zurufen würde, Wuppertal ist wahrlich keine inspirierende Stadt, würde er trocken antworten, dass man erstens Lyrik überall schreiben könne und dass Lyrik kein Olymp, keine Leier und auch keine sonstigen Überwelten zu Ihrer Entstehung brauche.

Spätestens an dieser Stelle, wenn nicht schon früher, oder vielleicht auch ein wenig später fragt man sich, in welche Richtung die Geschichte führt. Was hat der Autor vor? Will er uns eine Art Situationsbeschreibung vom eigenen einjährigen Stipendiatendasein in der römischen Villa Massimo schildern, und zwar aus der Perspektive des etwas kompliziert auftretenden jungen Lyrikers Peter Ka? Sollte der beileibe nicht asketische Hanns-Josef Ortheil in die Figur eines offensichtlich auf viele Genüsse verzichtbereiten Dichters geschlüpft sein, um uns von seinen Erlebnissen am Musenhof Villa Massimo und so ganz nebenbei auch von den Sehenswürdigkeiten Roms zu erzählen? Übrigens amüsant zu lesen, dass der Autor in der Rolle des Lyrikers Ka die Romanciers (als ein  solcher darf wohl Ortheil gelten) als schwerfällige Dichter beschreibt, deren Erzeugnisse mit Worthülsen überfrachtet sind.

Also, welchen Lauf soll die Geschichte nehmen? Wer den Anfangssatz und die ersten Seiten aufmerksam gelesen hat, wird das Einpflocken des Spannungsbogens bereits verspürt haben. Hier kämpft der Buchtitel Rom, Villa Massimo gegen den Anfangssatz Peter Ka ist ein fünfunddreißig Jahre alter Lyriker aus Wuppertal. Die folgenden Zeilen und Seiten offenbaren dem Leser einen Menschen der sich, wie gesagt,  gern als Eremit sieht. Zurückgezogenheit und Ruhe, Alleinsein und vernünftige Ernährung stellen ein fast schon groteskes Widerspiel zu Rom und seinem unter deutscher Regie geführten Musenhof dar. Und nun kann man wirklich gespannt sein, wie der Lyriker Rom angeht und umgeht mit den Alphatieren in der Villa, als da unter anderem wären ein Architekt, ein Romancier, eine Komponistin und eine Malerin.

Er zieht also ein in den bunten, fröhlichen und leidenschaftlichen Kosmos Rom. Nach dem Betreten der Villa und seinen ersten Begegnungen mit Stipendiaten, die in unterschiedlichen Abständen anreisen, füllt sich schnell sein Bedenken-Konto, und selbstverständlich rechnet er mit poetischen Tretminen, die es tunlichst zu umgehen gilt. Fragt sich nur, ob er diese hochexplosiven Teile rechtzeitig entdeckt. Also beugt er vor, um sein lyrisches Ich zu stählen: Pinien, Katzen, prächtige Barockkirchen oder ruinöse Steinmauern der Antike erhalten striktes Einfuhrverbot in seine Gedichtwerkstatt. Das sind die römisch-lyrischen Tretminen, und wie sieht es aus mit denen, die in der Villa lauern?

Zunächst geht er behutsam, fast schon furchtsam vor, um seine nächste Umgebung kennenzulernen. So zieht er kleinste Kreise im Akademie – Areal. Erst einige Zeit später wagt er sich in die nähere urbane Umgebung des Musenhügels Villa Massimo. Nein, das historische Zentrum mit den vielen, vielen berühmten Gebäuden ist noch längst nicht sein Ziel. Er will Hineinwachsen in dieses gewaltige städtische Monstrum. Aus diesem Grunde verzichtet er auf touristische Broschüren oder gar Kunst- und Reiseführer, die doch nur belehren und vom Eigentlichen ablenken. 

Was hat er vor in dieser und mit dieser Stadt? Rom so nahe an sich heranlassen wie möglich, zu einer Beute der Ewigen Stadt werden. Als ein anderer und nicht mehr wiederzuerkennen will er zurückkommen, um danach ein von Roma aeterna Eingeweihter zu sein

Das Verfassen von Gedichten, von Zwei- höchstens Dreizeilern,  scheint ihm vorerst entbehrlich zu sein. Wenn er denn eingeladen wird, ein Stückchen Lyrik vorzutragen, wird er den Stipendiaten – Kollegen und Kolleginnen ein oder zwei Proben bereits in Wuppertal verfasster Arbeiten vortragen. Damit versieht er sich, ohne dass er es zur Kenntnis nimmt, mit dem Label "scheuer Eigenbrödler", was dann später fortgeschrieben wird mit: "Er möchte wohl etwas besseres sein als wir". Daraus resultieren kleine Intrigen, die ihn zwar beunruhigen, aber nicht sonderlich treffen. Das Intrigen-Gespinst weitet sich aus, und es droht ein Eklat, der rasch Fortschritte macht.  Die ersten Tretminen sind bereits hochgegangen -  nicht tödlich für ihn, aber doch sehr verletzend. Klug weicht er den schleichenden und giftigen Gerüchten aus und skaliert sie herunter zu einem kleinen Brodeln. Stattdessen knüpft er engere Bekanntschaften, beispielsweise mit einer psychisch gestörten Malerin und etwas lockerer mit einer schwäbischen Komponistin. Und bald gefällt es ihm in der Stadt, genauer: in der Peripherie des historischen Zentrums. Er wird zum Stammgast eines kleinen Restaurants und genießt tatsächlich die ihm fremden römischen Speisen – und den Wein, und den besonders. Schnell hat er eine entsprechende Legitimation für sein ungewöhnliches Tun gefunden: In Rom wird er der Askese neue Glanzlichter aufsetzen und dabei weiter dem schönen Satz Nietzsches folgen: "Die Asketen wissen allein, was Wollüste sind."

Die Leser begegnen in diesem Roman einer illustren Schar von Künstlern und Künstlerinnen kennen. Meisterhaft charakterisiert Ortheil die Musenkinder. Er beschreibt nicht ihre Eigentümlichkeiten, sondern entfaltet sie aus ihren Handlungen und besonders aus den teilweise bizarren Dialogen mit dem Lyriker. So lernen wir sie kennen, die schräge Malerin oder den schwelgenden Romancier. Es entstehen Figuren und Porträts. Physiognomien werden gezeichnet und ganze Personen koloriert. Da stehen sie vor uns, und man möchte sie an der Seite von Peter Ka begleiten, durch die Räume der Villa in den nahe gelegenen Park oder ins Restaurant.

Wenn man dann zu einem bestimmten Zeitpunkt die aufgeschlagene Seite mit einem Lesezeichen versieht und das Buch aus der Hand legt, ist man erstaunt und erschrocken, dass der Markierungskarton bereits das letzte Drittel des Romans anzeigt. Nein, das muss doch noch weiter gehen! Und so wird man die ausstehenden Seiten viel, viel langsamer lesen als zuvor. 

Das Jahresstipendium ist abgelaufen und die letzte Seite gelesen. Schade, dass man fortan auf die Begleitung dieses so sympathisch gewordenen Lyrikers verzichten muss. Doch der Roman endet mit einer überraschenden Wendung, die eine Perspektive für eine Freundschaft mit Peter Ka versprechen könnte – wenn es denn der Autor Ortheil will. Ich wünschte mir, dass er eine fiktive Biografie über den Lyriker schreibt – aber bitteschön, mindestens 800 Seiten.

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