Samstag, 21. Mai 2016

Botschaft und Bedeutung 1 Fire Station

Botschaft und Bedeutung 1
Zur Ikonografie der Architektur von Zaha Hadid (1950-2016)
Fire Station auf dem Campus von Vitra / Weil am Rhein (1991-93)



Um die Bedeutung und die Botschaft eines historischen Gebäudes zu ermitteln, erforscht man die Quellenlage und sucht nach bautypischen Vorbildern. Das gilt durchaus auch für die zeitgenössische Architektur. Hier sind die Dokumente glücklicherweise zur Hand, beispielsweise diejenigen der Auftraggeber, oder die Pläne, Kalkulationen und Berechnungen des Architekturbüros. Ferner erscheinen Interviews mit dem Bauherrn, der seine Visionen und Wünsche mitteilt. Möglicherweise finden Gespräche mit den Architekten statt, die versuchen deutlich zu machen, auf welche Art und Weise sie diese Wünsche umsetzen und realisieren können.

Um einen Blick in die jüngste Vergangenheit zu werfen: Die Postmoderne verfügte über ein faszinierendes Repertoire von historischen Bauelementen oder sogar Bautypen, die immer wieder in neuartigen Abwand-lungen dem Gebäude sein spezi-fisches Gesicht verliehen. Die Bot-schaften sind besonders deutlich an den Fassaden oder am Interieur ab-lesbar. Häufig verweisen sie auf Herrschaft (Banken), Wohlstand (Rathaus) oder Mäzenatentum (Kunsthallen).  


Seit dem furiosen Auftreten von Zaha Hadid und mit dem Bau der Fire Station auf dem Firmengelände von Vitra/Weil am Rhein (1991-93) - ihrem ersten Gebäude - scheint ein Wandel aufgetreten zu sein. Gemäß ihrem Credo, Gebäude zu errichten, die vorher noch nie gebaut worden sind, veränderte sich die Formensprache der Architektur. Während man zuvor räumliche Strukturen auf der Fläche des Zeichenbretts entworfen hat, ermöglichen nunmehr digitale 3D-Programme, Räumlichkeit anschaulich zu machen, so dass man den Baukörper von allen Seiten sowie von innen und außen betrachten kann. Hinzu kommt, dass Architektenteams mit dem Einsatz von Computersystemen technische Berechnungen durchführen können, die früher „mit der Hand“ nicht geleistet werden konnten.


Fire Station. Rechts die Produktionshalle von Alvaro Siza (1994)


Zaha Hadid (Foto Zaha Hadid/Architects)


Die Entwicklung digitaler Techniken und Medien haben demnach dazu beigetragen, die herkömmliche Ordnung des Raumes zu hinterfragen und neu zu definieren. 
Zaha Hadid revolutionierte die traditionelle, also euklidische Geometrie: „Das Wichtigste ist die Bewegung, der Fluss der Dinge, eine nicht-euklidische Geometrie, in der sich nichts wiederholt: eine Neuordnung des Raumes.“
Das Überlagern, Zusammenschieben oder Vorkragen von Gebäudeteilen verspricht vielfältige Verwendungsmöglichkeiten und Funktionen. Der rechte Winkel hat sich erübrigt, er könnte sogar als ein Hindernis für eine räumliche Neuordnung aufgefasst werden. 

Zaha Hadids Fire Station (1990-93) auf dem Campus von Vitra/Weil am Rhein, veran-schaulicht eine derartige Neuordnung des Raumes. Wie ist die Komposition zu diesem Gebäude entstanden? Die Antwort fällt einfach und plausibel aus: Zaha Hadid hat sich der Campus-Struktur und dem östlich angrenzenden Tüllinger Hügel angepasst. Sowohl die Natur als auch das Betriebsgelände weisen lineare Muster auf, teilweise streng symmetrisch, teilweise asymmetrisch, wie die grafische Darstellung zeigt. Die linearen Strukturen hat sie gebündelt und räumlich für die verschiedenen Gebäudeteile entfaltet. Ihr Fazit für die Komposition: The new fire station - long, linear, narrow - ermerges as a layered series of tilted and breaking walls.“ Diese zu einem komplexen Bau sich organisierenden, überlagernden, geneigten und gebrochenen Bauelemente setzen sich entschieden ab von der traditionellen Architektur. 


Links: Blick von der Dachterrasse der Fire Station Ri Tüllinger Hügel (Foto Kluckert)
Rechts: Die Komposition der Fire Station (unten) im Zusammenhang mit dem Campus (linksund rechts) und dem Tüllinger Hügel (oben). (Foto Zaha Hadid/Architects) 

Abgesehen vom Design, dessen Wurzeln offensichtlich in den Strukturen des Campus und des Tüllinger Weinbergs zu suchen sind, muss man nicht nur nach der Funktionalität der Fire Station fragen, sondern auch nach der an die Feuerwehrleute gerichteten Botschaft und der daraus sich ergebenden Bedeutung.  

An der südlichen Front des Außenbaus schneidet westlich (links im Bild) ein einstöckiger Seitenflügel in einem extrem spitzen Winkel in den Hauptbau. Gut erkennbar sind die nach außen gekippten Wände mit den Fensterschlitzen. Der Flügel birgt die Waschräume und Toiletten. Zwei langgezogene und wie Großskulpturen wirkende Kleiderschrankeinheiten trennen den Raum vom Hauptflügel, in dem der Fitnessbereich untergebracht  ist. Der Übergang vom Seiten- zum Hauptflügel ist  also gleitend und nicht durch Wände abgegrenzt.


Südfront der Fire Station (Foto Christian Richter)

Überraschend ist die Konstruktion der Toiletten, die sich mit der Wand nach außen neigen. Wenn man die Toilette benutzt, befinden sich die Schüsseln allerdings im Lot, wohingegen sich die Wände auf der einen Seite von einem weg- und auf der anderen Seite auf einen zubewegen. Das sorgt zweifellos für Irritationen, wenn man den Raum betritt, sich niedersetzt, sich dann wieder erhebt und die Toilette verlässt.  Es mögen sogar leichte Schwindelgefühle auftreten. 
Dasselbe könnte man wahrscheinlich unter der Dusche oder vor dem Waschbecken erleben. Manche Besucher haben während einer Führung den Raum nur kurz betreten, und mit den Worten „da kann einem schwindelig werden“ wieder verlassen.


Toiletten im Südflügel (Foto Kluckert)

Es ist kaum vorstellbar, dass Zaha Hadid diese Konstruktion einzig wegen des Designs gewählt hat. Aber weswegen dann? Denkbar ist, dass die Feuerwehrleute irritiert waren, als sie die Waschräume benutzt und vielleicht sogar mit einem leisen Fluch, der das Schwindelgefühl vertreiben sollte, die Toiletten verlassen haben. Aber ist das mit ihrer Arbeit verträglich? Wenn sie eine Leiter ausfahren, um in den vierten Stock eines brennenden Gebäudes zu gelangen, um Leben zu retten, müssen sie möglicherweise auch Schwankungen aushalten. Vielleicht war das der Grund für eine derartige Toilettenkonstruktion, so dass die Botschaft von Zaha Hadid lauten könnte: “Fireman and firewomen, don’t be irritated, keep your balance!“, womit sie auf wichtige Anforderungen dieser Zunft appellieren wollte. Man könnte sogar noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, dass sie deutlich und im wahrsten Wortsinne greifbar machen wollte, das sie für die Feuerwehrleute dieses Gebäude, insbesondere die Waschräume in der ihr eigenen Weise konstruiert hat.

Vergleichbar wären ebenfalls die Leuchtschienen in den Decken im Fitnessbereich und im zweiten Stockwerk, dem Konferenzraum. Der Anblick ist zunächst verwirrend. Wenn man sich aber den Verlauf der Schienen verdeutlicht und versucht, eine Beziehung zur Architektur herzustellen, fällt vielleicht auf, dass hier die Ausrichtung der Gebäudeteile angegeben ist. Genauer: In der Decke werden die Grundrisse von Gebäudeteilen angedeutet.



Lichtschienen im Konferenzraum (Foto Kluckert)

Der Konferenzraum: Der Lichtverlauf in der Mitte spreizt sich vom rechten Lichtstreifen ab, der den gesamten Verlauf der Südfront von der Garage, dem zweitem Geschoss und der Terrasse markiert. Das lässt nur einen Schluss zu: Die mittlere Lichtschiene, direkt über der Mauer des Treppenhauses gelegen, verweist auf den Grundriss des abknickenden Seitenflügels, dessen Dach man durch die Fenster sehen kann.
Bleibt das linke Deckenlicht, das nicht parallel zur Decken-Wandkante verläuft, sondern sich leicht zur Fensterseite neigt. Die Funktion können wir erst begreifen, wenn wir unten im Fitnessraum am großen Fenster stehen  und nach oben hinausschauen.  Dort sehen wir einen Gebäudeteil des Obergeschosses erkermäßig vorkragen und an der Decke eine Lichtschiene, die quer in die linke Wand schneidet. Sie findet ihre Fortsetzung in eben diesem oberen Gebäudeteil. Weiter unten Richtung Ausgang und Garage schiebt sich eine Lichtbahn aus der Mauer heraus schräg nach hinten und geht dann in einem rechten Winkel zum Ausgang ab. Hier wird der Grundriss vom oberen Konferenzraum angedeutet. Nun können wir uns vorstellen, dass die erwähnte  obere Lichtschiene auf den Grundriss des Fitnessraums unten verweist. Zaha Hadid wollte mit dieser Lichtkonstruktion ihre Architektur transparent machen, indem sie die Strukturen der Komposition des Gebäudes verdeutlicht, die von außen und von innen nur sehr schwer zu begreifen ist. Auch das könnte als Botschaft an die Feuerwehrleute gedeutet werden: „Macht Euch mit dem vielleicht etwas ungewöhnlichen Gebäude vertraut, denn ich habe es für Euch entworfen!“


Lichtschienen im Fitnessraum (Foto Kluckert)

Das sind nur einige Aspekte der Fire Station, die auffallend und zugleich rätselhaft sind - zumindest auf den ersten Blick. Ob aber die Feuerwehrleute diese Botschaften während der zweijährigen Nutzung empfangen haben, ist ungewiss und entzieht sich auch meiner Kenntnis.

Sämtliche Fotos, bis auf „Foto Kluckert“, durfte ich mit freundlicher Genehmigung des Zaha-Hadid Office in London der Website: http://www.zaha-hadid.com für diesen Post entnehmen.









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