Ehrenfried Kluckert, Die Intrige
Sankt Ulrich Verlag Augsburg 2011
269 Seiten, 19.90 Euro
Stichworte zum Inhalt:
Südbaden im Jahr 1796. Verzweifelt versucht der französische General Jean-Victor Moreau seine ausgelaugten Truppen gegen die habsburgischen Verbände unter dem Kommando des Erzherzogs Carl von Österreich nahe Schliengens in Stellung zu bringen. Moreaus Ziel, den Rheinübergang bei Hüningen zu erreichen. In Schliengen und Umgebung verbreiten die marodierenden Revolutionstruppen der Franzosen Angst und Schrecken. Doch plötzlich erreicht die Handwerker, Winzer und Obstbauern im Gasthaus "Zum Baselstab" eine neue Nachricht: Die Propstei Bürgeln bekommt einen neuen Propst, Johannes von Wellenberg aus Westfalen. In den nächsten Tagen wird er erwartet und zwar in Begleitung seiner Nichte Susanne, einer jungen Dame, die bald in das Zentrum einer weitverzweigten Intrige hineingerät, deren Ursprung bis nach Wien reicht ...
... und so beginnt der Roman
Lass ihn! Er hat um Hilfe gerufen: ‚Au secours! Au secours!‘
Lass ihn doch!“
Der Junge zerrt verzweifelt am Ärmel seines Vaters, doch
der schüttelt ihn unwirsch ab. „Au secours …“, brummt er
widerwillig. „Und wer hilft uns?“ Er schiebt den Jungen zur
Seite, hebt mit einem Ruck die Mistgabel hoch und sticht zu.
Der Weiß-Blaue schreit auf. Das Blut spritzt über die Stiefel
bis hoch an die Knie. „Du Dreckshund, du französischer!“
Dann wuchtet er erneut sein Instrument in den geschundenen
Körper. Ein letztes Röcheln, dann erstarrt der Leib.
„Was die Habsburger und unsere zerlumpte Landmiliz nicht
erledigen, vollenden wir eben!“
Mit diesen Worten ergreift er den Arm des Jungen, der
stocksteif neben ihm steht. „Der schändet nicht länger unsere
Frauen, zerstört nicht mehr unsere Höfe und verwüstet
die Weinberge. Der nicht!“ Er haut mit wutverzerrtem Gesicht
die Mistgabel in das Gesicht des toten Soldaten. Der
Junge rührt sich nicht. Sein Herz – zu Eis gefroren. Schaudernd
blickt er in das entstellte Gesicht und in die blutigen
Augen. Der durchstochene Hals aber prägt sich ihm als
schauriges Bild ein. Er wagt nicht zu atmen. Dann fühlt er
den festen Griff des Vaters an seinem Arm und stolpert vorwärts.
„Die Stiefel sind für die Bauern. Winzer fleddern keine
Leichen. Und die Flinten soll die Landmiliz einsammeln –
für das nächste Mal.“ Er hält inne und schaut seinen Sohn
an. Und mit milder Stimme: „Das ist die Welt, in die du hineinwächst,
Jakob. Verschließe nicht die Augen davor!“ Er
streicht ihm flüchtig übers Haar. „Komm jetzt! Weiter!“
Sie steigen zwischen den Weinreben hügelauf. Immer wieder
blickt Jakob sich um, das flüchtige weiß-blaue Zucken im
Gras unter gewichtigen Trauben fürchtend. Plötzlich bleiben
sie stehen.
„War da nicht etwas? Ich glaubte zu hören …“
„Nein, Vater. Du täuschst dich. Da war nichts!“, bricht es laut
aus ihm heraus, als ob er das ferne und wohlvernommene „Au
secours!“ übertönen wollte.
Vater Lennardts finstere Miene entspannt sich allmählich,
und er nickt bedächtig. „Dann lass uns nach Hause gehen!“-------------------------------------------------
Der neue Propst Bürgelns, von Wellenberg, reist mit seiner Nichte Susanne an. Sie kommen aus dem Westfälischen und machen Station in Rastatt. Dort lernt Susanne den galanten habsburgischen General Walther von Lemm kennen ...
Susanne hakt sich bei ihrem Oheim ein, und zusammen
überqueren sie die Allee. Das Gasthaus ist nur wenige Schritte
entfernt. Plötzlich bleibt die junge Frau stehen. „Ach Oheim,
wenn wir hier auch nicht verweilen können, so sollte mir doch
nur ein halbes Stündchen vergönnt sein, im Abendschatten
des Schlosses zu zirkulieren.“
„Das in der Tat sollten Sie nicht versäumen, gnädiges Fräulein,“
tönt es unvermittelt vom Gasthaus, „wenn ich mir diese
Bemerkung erlauben darf.“
Susanne und ihr Oheim drehen sich überrascht um und erblicken
einen hochaufgeschossenen Soldaten in kaiserlicher
Uniform. Sein helles blondes Haar ist sorgfältig zu einem Pferdeschwanz
zusammengebunden.
„Walther von Lemm, General in kaiserlichen Diensten. Ich
habe Sie erwartet.“ Mit diesen Worten verneigt sich der General
und schreitet die Stufen herab, die Rechte locker auf den
Knauf seines Säbels und die Generalsmütze unter dem Arm
haltend. Er nähert sich den beiden und verbeugt sich vor Susanne
ein weiteres Mal.
„Es ist mir eine Ehre, Sie, gnädiges Fräulein Susanne Willgard
von Kelst, und Sie, Hochehrwürden Johannes von Wellenberg
aus Billerbeck, begrüßen zu dürfen.“
Ungläubig schauen die beiden den General an, der sogleich
wieder das Wort ergreift. „Vor nicht ganz einer Stunde erreichte
mich eine Depesche, derzufolge Major Bächele alsbald
in Rastatt eintreffen wird. Im Gasthaus ‚Zum Mohren‘ ist alles
für sie hergerichtet.“ Einladend weist er zur Tür des Gasthauses.
„Für Sie steht eine Erfrischung bereit. Darf ich bitten.“
Sie betreten den Gastraum, begrüßen den Wirt und setzen
sich an den Tisch. Eine Schankmagd eilt mit einem Krug herbei.
„Ein leichter Riesling aus der Ortenau.“
„Das wird Ihnen gut tun, nach der beschwerlichen Fahrt. Ich
nehme an, Major Bächele hat den Kutscher immer wieder zur
Eile angetrieben. Recht so!“
Sie heben die gefüllten Gläser und trinken. Der General erläutert
kurz die politische Situation und versichert den Reisenden,
dass es zur Sorge keinen Anlass gebe. Sie werden zusammen
mit einigen Husaren kurz vor der Morgendämmerung
aufbrechen und dann am Abend ihr Ziel, das Gasthaus „Zum
Baselstab“ in Schliengen, erreicht haben.
„Jetzt aber“, der General verneigt sich vor Susanne, „möchte,
so vermute ich, das gnädige Fräulein ein wenig promenieren.
Ich darf mich als Begleiter empfehlen, wenn der Herr Oheim,
Hochehrwürden, keine Einwände geltend macht.“
Von Wellenberg, verschmitzt lächelnd, bemerkt den Hauch
von Rosenröte im Gesicht seiner Nichte. „Ich denke, General,
dass Susanne, meine Nichte, an Ihrer Seite bestens aufgehoben
ist. Ich werde das Gepäck versorgen und die Zimmer einrichten.
Dann“, er fasst die großen Kaminuhr im Regal über
dem Schanktisch ins Auge, „werde ich mich nach einer guten
Stunde hier unten zum gemeinsamen Abendessen wieder einfinden.“
Galant reicht der General seiner Begleiterin den Arm. Susanne,
immer noch stumm, hakt sich ein, und beide spazieren
die Allee hinab auf das Schloss zu. Das abendliche Treiben
hat sich in der milden Frühlingsluft verstärkt. Viel Volk, auch
berittenes, füllt die Allee. Man grüßt, tuschelt, lacht und flaniert.
Hinter jedem Flaneur, der einem begegnet, möchte man
eine bedeutende Persönlichkeit vermuten. Bunt und schillernd
sind sie allesamt gekleidet. Am meisten faszinieren Susanne
die weiten Haarschleifen und farbigen Hütchen der Frauen.
Sie kann mit ihrer einfachen Reisekleidung nicht mithalten.
Dafür ist sie, soweit sie sehen kann, die einzige, die den Vorzug
genießt, am Arm eines kaiserlichen Generals einherzugehen.
Was für ein Privileg!
Ein exotisch gekleideter junger Mann kommt gerade auf die
beiden zu, übersieht sie aber auffällig. Dennoch verneigt sich
der General und murmelt ein „meine Verehrung!“
„Kennen Sie den, der Sie nicht einmal eines Blickes würdigt?“
„Oh ja!“, der General schmunzelt, „das war der berühmte
Schauspieler Ludwig Ferdinand Schröder vom Mannheimer
Nationaltheater. Hier in Rastatt möchte er wohl lieber unerkannt
bleiben.“
„Dann sollte er sich nicht so affektiert ankleiden.“
„Da mögen Sie Recht haben, jedoch steht dem die Eitelkeit
der Theaterleute im Wege
„Sagen Sie, General, Sie kennen diesen Schauspieler von
Mannheim her? Welches Stück haben Sie gesehen?“
„Das waren zwei Stücke, von denen mein Freund General
Wurmser und ich begeistert waren, ‚Die Räuber‘ und
‚Kabale und Liebe‘ von diesem genialen und vom despotischen
württembergischen Herzog vertriebenen Theaterdichter
Friedrich Schiller.“
Erschrocken bleibt Susanne stehen. „Von diesem gottlosen
Schreiber?“ Sie schnauft hörbar. „Die Geschichte der Verbrecherbande
… diesem schaurigen Stück wohnten Sie bei?“
Von Lemm lacht laut heraus. „Oh! Sie verraten sich, verehrtes
Fräulein!“ Und dann sachlich: „Sie fällen ein Urteil über
etwas, was Sie nicht kennen.“
Susanne verstummt und errötet. Zaghaft erwidert sie nach
einer Weile: „Also, klären Sie mich auf …“
Und von Lemm erzählt über den berühmten und hochgeachteten
Autor Schiller, der freilich sich des Democratismus
verdächtig gemacht hat und deswegen in manchen Regionen
deutscher Lande unerwünscht ist, aber dennoch mit einer hohen
Moralauffassung das Publikum zu fesseln weiß.
Eine Weile spaziert das Paar stumm nebeneinander her. Susanne
lässt das städtische Szenarium an sich vorüberziehen.
Sie fühlt sich wohl an der Seite des Generals, wohl und sicher.
„Mein Oheim erwähnte vor der Reise, dass wir sicherlich in
der markgräflichen Residenzstadt Karlsruhe oder wie man
wohl auch sagt „Carlos Ruhe“ Station machen würden. Stattdessen
sind wir in Rastatt angekommen.“
„Nun, Jungfer Susanne, das ist eine komplizierte Geschichte.
Die Markgrafschaft war vor etwa 20 Jahren noch
geteilt in eine katholische Linie, die Baden-Badener und eine
reformierte Linie, die Baden-Durlacher. Als die katholische
Linie erlosch, vereinte der untadelige Markgraf Karl Friedrich,
heute noch Landesfürst, die beiden Linien. Doch die katholischen
Gebiete, Habsburg zugeneigt, und die reformierte
Markgrafschaft, eher den Preußen verbunden, kommen nicht
recht zueinander. Sie verstehen, dass wir Kaiserlichen die katholische
Residenz Rastatt vorziehen.“
„Dann reisen wir in ein geteiltes Land?“
„Nein. Der vielgeliebte und liberale Karl Friedrich hat es meisterlich
verstanden, beide Parteien miteinander auszusöhnen.
Einzig die österreichischen Vorlande, die sich wie ein Flickenteppich
durch Baden ziehen, sind ihm verständlicherweise ein
Dorn im Auge.“
„Ein Dorn wohl auch in den Augen vieler Markgräfler, zumindest
der Reformierten.“
„Das mag sein, Jungfer. Doch lassen wir das Politisieren. Sie
werden oben auf Bürgeln noch oft Gelegenheit haben, am eigenen
Leib die Spannungen der geistlichen und damit verbunden
auch der politischen Parteien zu spüren bekommen.“
Mittlerweile hat das Paar den Schlossplatz erreicht. Sie flanieren
an der Schlossfassade entlang. In der Nähe ragt ein winziger
in pagodenhafter Form errichteter kleiner Kiosk auf. Dorthin
führt der General seine Begleiterin und lädt sie zu einem braunschwarzen
Kaffee ein.
„Nun, dieses miniaturhafte Etablissement kann natürlich
nicht mit den berühmten Kaffeehäusern Leipzigs mithalten,
doch ist das Getränk an Köstlichkeit nicht zu überbieten.“
Nachdem sie Platz genommen haben und aus feinsten Mokkatässchen
das heiße Getränk genießen, fragt Susanne ganz
unvermittelt: „Nun vermute ich, dass der Schauspieler, der uns
begegnete, uns deswegen verschüchtert übersehen hat, weil er
nicht als ‚Mannheimer‘ erkannt werden wollte.“
„Das ist durchaus möglich, denn hier im eher streng-katholischen
Rastatt zieht man die so leicht und unterhaltsam daherkommenden
Dramen und Lustspiele unseres Augusts von Kotzebue
vor, wie beispielsweise die otaheitischen Südseestücke.“
„Sie meinen die pikanten Geschichten von sinnenfreudigen
Polynesierinnen auf dem Eiland O’Taheiti, das der englische
Seeheld Cook entdeckt hat. Die sind mir bekannter, wenn auch
nicht angenehm. Sie dünken mich trivial und emotional übertrieben.“
„Aber sie sind populär und allseits bekannt, so dass sich die
Fürsten unserer deutschen Lande verstiegen haben, in ihren
Lustschlössern weitab der Residenzen intime otaheitische Südseekabinette
mit dem entsprechenden lebenden Inventar einzurichtenSusanne schweigt und lächelt. „Ich glaube, ich verstehe.
Auch wenn das, wie Sie spekulieren mögen, nicht für die Ohren
junger Damen bestimmt ist, frage ich Sie dennoch: Sie
sprechen über anmutige Luststätten der Fürsten und Könige?“
„Genau davon spreche ich.“ Der General nippt an seiner
Mokkatasse. „Ein solches erotisches Südseeparadies hat sich
der Weimaraner Herzog Karl August in Tiefurt installieren
lassen. Eine berühmte Schauspielerin, Karoline Jagemann,
war eine seiner otaheitischen Mätressen.“ Mit süffisantem Gesichtsausdruck
lehnt er sich nach hinten.
Beide schauen sich stumm an. Dann streckt der General
beide Arme aus und umfasst vorsichtig Susannes Hand, in der
sie die Mokkatasse hält.
„Wissen Sie, was Sie in der Hand halten?“, flüstert er.
„Ich weiß nur, dass Sie meine Hand halten“, gibt sie ebenfalls
flüsternd zurück.
„Weißes Gold in Ihren Händen, Porzellan.“
Eine Weile schauen sie sich in die Augen, eine Weile, die für
Susanne beunruhigend lange dauert. Dann lässt er langsam
ihre Hand los und lächelt.
Gedankenverloren betrachtet sie das Mokkatässchen, wendet
es mal nach der eine, mal nach der anderen Seite.
„Eine Ranunkel. Tatsächlich, eine winzige Ranunkel ist in
den Boden der Tasse miniaturhaft gemalt. Was für ein kleines
Wunderwerk.“ Sie strahlt den General an. „Das ist meine
Pflanze, verstehen Sie, General? Ich hoffe, im milden Klima
der Markgrafschaft viele dieser liebenswerten Blüten im Frühjahr
um mich zu haben.“ Sie stockt. „Mein Oheim sagte mir,
dass seine künftige Propstei mit ökonomischen Gebäuden,
mithin auch mit einem Gewächshaus, vielleicht sogar mit einem
Pomeranzenhaus auf Rädern ausgestattet ist.“ Sie richtet
sich auf und strafft sich. „Ich danke für den Kaffee. Er war
köstlich. Sollten wir nun nicht an das Abendessen denken?“----------------------------------------------
Die Reisegesellschaft (der künftige Propst von Bürgeln mit seiner Nichte Susanne, General Walther von Lemm und der Major Bächele) hat den "Baselstab" in Schliengen erreicht. Jakob (der verzweifelte Junge aus der 1. Leseprobe), zum sanblasianischen Hofmaler aufgestiegen und verlobt mit Clara, der Wirtstochter, unterhält sich intensiv (für Clara zu intensiv) mit Susanne. Plötzlich ...
Clara hat die Konversation verfolgt. Ihr ist kein Wort entgangen,
keine Geste des Generals und auch nicht die trügerische
Mimik des Majors, die zu erkennen gibt, dass er mit dem
Verlauf der Begegnung zufrieden ist. Am meisten aber wundert
sie sich über die Nervosität Jakobs. Hatte er sich damals
nicht ähnlich verhalten, als er ihr seine Zuneigung gestand?
Ihre Spekulationen werden jäh unterbrochen durch das unvermittelte
Aufschlagen der Tür. Pfarrer Pfeiffer stürzt mit
einem gellenden „die Conde, die Conde …“ in den Gastraum,
strauchelt und fällt zu Boden. Hinter ihm preschen sechs, sieben
wilde Gesellen herein, teilweise in Uniform, teilweise in
zerlumpter Zivilkleidung. Die Markgräfler und der Propst reißen
sich von den Sitzen in die Höhe. Einer der Eindringlinge,
zweifellos handelt es sich um einen Soldaten des Emigrantenheeres,
hat ein Messer gezückt und versetzt dem am Boden liegenden
Pfarrer einen Fußtritt.
„Zur Seite, Pfaffe!“
Ein anderer, der langsam eine Pistole aus dem Halfter zieht,
tritt vor und schreit:
„Alle auf den Boden, und die Geldbeutel auf den Tisch!“
Die Markgräfler und der Propst lassen sich sogleich nieder.
Jakob, der reflexartig nach Susannes Hand gegriffen hat, erhebt
sich zusammen mit ihr langsam vom Stuhl. Auch Bächele,
der leichenblass geworden ist, steht auf, rührt sich aber nicht
von der Stelle. Clara bleibt hinter der Theke stehen und verfolgt
entgeistert das Tun der Räuberbande. Dann fällt ihr Blick auf
Jakob, der die Hand Susannes immer noch umklammert hält.
Der General bleibt sitzen und bringt damit zum Ausdruck,
dass ihm diese Unterbrechung der angenehmen und warmherzigen
Geselligkeit lästig, wenn nicht gar zuwider ist. Doch kurz
zuvor glaubte er, ein bekanntes Gesicht gesehen zu haben, das
vor der Tür blitzschnell vorbeihuschte. Er konzentriert sich
darauf gelassen zu bleiben und fixiert den Räuber.
„Die Geldbeutel bleiben dort, wo sie sind, und die Herrschaften
sollen sich wieder auf die Stühle setzen. Hier droht keine
Gefahr.“
Erschrocken und mit offenem Mund verharrt der Bewaffnete.
Noch bevor er reagieren kann, hat sich der General blitz-
schnell mit gezücktem Säbel in die Höhe katapultiert und
schlägt dem Räuber, der jaulend aufheult, die Pistole aus der
Hand, holt ein weiteres Mal aus und bleibt mit erhobenem
Säbel vor dem Soldaten stehen.
„Der ist des Todes, wenn ihr nicht sofort die Waffen fallen
lasst."---------------------------------------
Endlich haben die Propst von Wellenberg, seine Nichte Susanne und Major Bächele, die Spitze des Bürgelnbergs erreicht. Staunend stehen sie vor der Propstei.
Unterhalb des zentralen Mitteltraktes, der von einem herrschaftlichen
Dreiecksgiebel bekrönt wird, öffnet sich die Tür der Propstei
und heraus tritt Secretarius Heppelt im festlichen Ornat eines
Fürstabtes. Sein dunkelviolettes Gewand mit dem schmalen
Stehkragen ist geschmückt mit einem breiten, grellroten Halsband,
an dem ein zierliches Silberkreuz hängt. Seinen Kopf bedeckt
eine ebenfalls dunkelviolette Samtkappe. Er schreitet zum
Geländer, beugt sich etwas vor und hebt den Arm.
„Seien Sie gegrüßt, von Wellenberg. Seien Sie alle gegrüßt …“
Er unterbricht sich kurz und fährt zögerlich in einem nicht mehr
ganz so euphorischen Tonfall fort: „Nun … Major Bächele … Sie
sind ebenfalls ein Mitreisender … wie ich sehe.“ Dann richtet er
sich auf und holt hörbar tief Luft: „Herzlich Willkommen. Es
steht alles für Sie,… wie soll ich sagen, es steht alles bereit.“
Von Wellenberg, seine Nichte und der Major betreten die
Treppe. „Ist das jetzt der Fürstabt?“ raunt von Wellenberg dem
Major zu, der ein verhaltenes „möglicherweise“ von sich gibt. Es
erscheint eine weitere Person auf der Terrasse.
„Secretarius Heppelt, ich möchte melden, dass für die Reisegesellschaft
alles bereit ist.“ Und dann etwas überrascht: „Oh, da
ist ja auch ein kaiserlicher Major dabei. Nun denn. Umso besser
in diesen unsicheren Zeiten.“ Die Person verbeugt sich: „Darf ich
mich vorstellen, Verwalter Bernius, Michael Bernius. Stehe für
alle Fragen zur Verfügung.“
Eine in vielen Belangen überraschende Ankunft, denkt von
Wellenberg amüsiert. Susanne, stumm und eher nachdenklich,
vermutet, dass es sich bei dieser verfahrenen Anrede eines möglichen
Fürstabtes um eine typische Eigenschaft der Schwarzwälder
Bevölkerung handelt. Hängt das mit den Habsburgern zusammen, denen Anreden und Titel so wichtig sind? Oder neigen
die Badener dem Democratismus zu und ergreifen gerne die Gelegenheit,
um die Obrigkeit zu provozieren? Wie also soll ich den
Schmerbauch anreden? Wenn ich mich an seine Kleidung wende,
dann wäre ein „Euer Gnaden“ angemessen. Halte ich es aber mit
dem Dienstpersonal, bringe ich ein nüchternes „Secretarius“ hervor.
Ähnliche Überlegungen, da ist sich Susanne sicher, gehen
dem Oheim sicherlich auch durch den Kopf.
Der Fürstabt auf Zeit kommt mit einladenden Gesten den Ankömmlingen
entgegen. Major Bächele hält sich mit einem angemessenen
Abstand zurück. Heppelt streift ihn mit einem Blick,
von dem man nicht sagen kann, ob er missbilligend ist oder erstaunt.
Sie betreten das Vestibül, und von Wellenberg bleibt stehen,
überwältigt von dem Prunk, der sich ihm in den gewaltigen
Wandspiegeln und der wie ziseliert aufgetragenen Ornamentik
offenbart, die sich fast schon unerhört asymmetrisch und dynamisch
über die Decke zieht. Das pompöse zweiläufige Treppenhaus,
das er sogleich als weithin berühmtes „Habsburger Modell“
identifiziert, zieht ebenfalls die Blicke auf sich. Das ist Katholizismus
in seiner herrschaftlichen, in seiner leidenschaftlichen
Form, das ist fast schon Wien, und selbst Rom ist in die Nähe
gerückt. Susanne steht neben ihm, ergreift seinen Arm und flüstert.
„Ein Schloss, lieber Oheim, wird unser neues Zuhause sein! Ich
kann es kaum glauben, ein Schloss!“
Der fürstabtliche Secretarius, und als solchen, hat von Wellenberg
still entschieden, wird er ihn fortan ansprechen, steht auf
dem Treppenabsatz und weist zum Südflur.
„Darf ich die Herrschaften in das Antichambre bitten? Der Diener
wird Ihr Schuhwerk überprüfen, und Jungfer Susanne wird
sich die Nase pudern dürfen. Im Salon setzen wir uns zu einem
Willkommenstrunk zusammen.“ Dem Verwalter raunt er gebieterisch
zu: „Zeigen Sie dem Major seine Unterkunft neben den
Ställen im Ökonomiegebäude.“ Er verneigt sich knapp und richtet
einen frostigen Blick auf den Major: „Danke für die Aufmerksamkeit
und den Schutz, die Sie dem Propst und seiner Nichte haben
zukommen lassen.“
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