Sonntag, 20. März 2011

Erzählungen Mogli I

Es gibt so viel zu erzählen ...
Aber jetzt geht es erst einmal um "Mogli", unseren tibetanischen Hirtenhund. Ob Ihr es glaubt oder nicht: Wir, meine Frau Dany und ich,  erzählen unserem Hund vor dem Schlafengehen Mogli-Geschichten (die wir natürlich uns erzählen) Aber Mogli darf auf das Bett hopsen, wenn das Signal "Mogli-Geschichte!" kommt. Nun nimmt sie jeden Abend die Bett-Gelegenheit wahr, ohne auf das Signal zu hören... Gibt ja auch nicht immer eine Geschichte ...

Dany und Mogli


Dann fangen wir mit einer Geschichte an ... Die Raben, Die Raben


Es hat einige Zeit gedauert, doch schließlich ist Moglis Bemühen vom Erfolg gekrönt.

Musste mich mächtig in die Unterwolle legen, um Frauchen zu überzeugen. Doch nun hat es geklappt und ich bin, zumindest für kurze Streifzüge, frei. Dank der flankierenden Maßnahmen von Herrchen, der veritable Überzeugungsarbeit geleistet hat, lässt mich mein Frauchen ziehen, wenn auch auf begrenzte Zeit. Und ich werde sie nicht enttäuschen. Nein, keinesfalls! Die Hundeschule war ätzend. Na ja, manchmal hat es auch Spaß gemacht, durch lange Röhren zu rüsseln, auf Balken zu balancieren oder Leitern zu erklimmen und mit einem gewaltigen Satz - natürlich auf Kommando - hinabzuspringen. Alles eine Sache der Technik und des guten Willens. Jawohl, guter Wille und Kooperationsbereitschaft! Das war es, und das habe ich zum Glück schnell begriffen.

Mogli, die kleine schwarze Tibet-Terrier-Dame mit dem kecken weißen Fleck am Hals, darf nach ihrem Mittagsschlaf allein aus dem Haus marschieren und über den Feldweg zum nahen Wald schlendern, um dort ihre Geschäfte zu verrichten.

Die Pferdekoppeln sind tabu. Schade, aber das geht schon in Ordnung. Die Kartoffelfelder sind ebenfalls tabu, besonders, wenn sich der Sommer dem Herbst zuneigt. Na ja, ich nehme mir dann manchmal einfach heraus, dieses Tabu in meiner Eigenschaft als emanzipierte Hochland-Tibeterin zu brechen. Dumm nur, dass die Kartoffeln, welch' göttliche Speise, welch' höchster Genuss, nächtens in meinem Magen rumoren und dann halsauswärts rotieren. Das ist mit Geräuschen verbunden und das hellhörige Herrchen, wenn ich dann in meinem Elend zu seiner Schlafstatt schleiche, wird wach und putzt das Übel schnell weg, bevor Frauchen etwas von meiner Verfehlung mitbekommt. Leider klappt das nicht immer, denn auch sie scheint im Halbschlaf die verräterischen Würg-Geräusche wahrzunehmen, und dann sind die gefürchteten Lernkontrollgänge angesagt. Leinenzwang, Befehlterror mit Sitz! Platz! Nein! Warte! Irgendwann nähern wir uns dann dem Kartoffelfeld. Nun heißt es aufgepasst! Die Leine wird entfernt und ich spiele die dumme Tibeterin. Mit ein paar Sätzen springe ich in das Feld, da mir schon längst der verlockende Duft einer dicken Kartoffel in den Rüssel gezogen ist. Jetzt kommt es gleich, das scharfe "Nein".

"Nein!"

Da ist es! Ich spiele weiter meine Rolle. Schuldbewusst zucke ich zusammen, schnappe blitzschnell die Kartoffel, halte sie pflichtschuldigst im Maul, senke den Schwanz ab und trotte in mäßigem Tempo zum Frauchen.

"Gib's aus!"

Klaro! Die Kartoffel kullert aus meinem Maul, und ich erhalte ein mageres "Brotle", will sagen, ein trockenes braunes, mikroskopisch kleines Leckerchen. Das ist die Belohnung. Heftiges Wedeln! Dass ich nicht freudig wuffze! Grins.

Grünfink, mein kleiner gefiederter Freund, ist nicht unbedingt auf meiner Seite, wenn ich ihn um Rat frage. Ganz im Gegenteil:

"Du bist zu gierig!" zwitschert er mir zu.

"Ist es nicht die Gier, die uns am Leben erhält?"

 "Du verwechselst das mit Hunger!"

"Dann ist es die Süße des Lebens, die uns nur durch die Gier zuteil wird."

"Typisch Hund! Typisch Menschenhund. Du bist verdorben! Grundverdorben von den Menschen!"

Da regt sich Unwille, nein, Empörung in mir. Diese Verständnislosigkeit!

"Wenn ich auch keine moralische Unterstützung von dir zu erwarten habe, mein lieber Grünling, dann wenigstens Verständnis! Verständnis für die edle und uralte Rasse der Tibeter!"

"Grünling sagt sie... Oh, die Dame ist ungehalten!" Grünfink flattert mutwillig vor Mogli her. "Zudem ist jetzt wieder das alte Lied zu erwarten?"

"Ja, das alte Lied! Wir sind harte Arbeit gewohnt. Tagelang, wochenlang ziehen wir mit der Herde über das Hochland. Eisiger Schnee tobt um uns her und wir tappen ins blanke, weiße Nichts. Nur die Tibet-Terrier kennen den Weg. Die Menschen haben sich schon längst in ihre Zelte zurückgezogen. Tagelang, wochenlang sind wir ohne feste Nahrung. Nur der Schnee, lange im Maul herumgewühlt und dann lauwarm geschluckt, erhält uns am Leben. Und dann schleicht sich die Gier ein, die Gier nach Fraß, was auch immer zu haben ist und sei es ein kleiner bemooster Stein, der wenigstens für Schwere im Magen sorgt."

Grünfink hat sich mittlerweile auf dem Rücken des Hundes niedergelassen und kuschelt sich in dessen langes Nackenfell ein, was Mogli mit Genugtuung zur Kenntnis nimmt. Einer unbekannten aber durchaus interessanten Duftspur folgend, hat Mogli den Feldweg verlassen und hält auf den Wald zu. Der Geruch intensiviert sich und der Hund beschleunigt seine Schritte. Ein Eichelhäher schreit auf und flattert kreischend über das Buschwerk hinweg, um zwischen den hohen Akazien zu verschwinden.

Mit einem "Nicht mein Revier, Mogli!" befreit sich Grünfink aus seinem Logenplatz und schwingt sich mit ein paar Flügelschlägen hinüber zu den jungen Birken am Feldweg. Von dort hat es der Vogel nicht mehr weit, um unser Dorf Sonngarten und die heimischen Gärten zu erreichen.

Vom nahen Kirchturm schlägt die fünfte Stunde. Die spätsommerliche Sonne taucht die um den Kirchturm sorgsam arrangierten Wohnhäuser, Stallungen und Scheunen in ein mildes Licht. Schäfchenwolken treiben einträchtig über die stille Landschaft hinweg. Das nahe Zirpen, Summen, Sirren und Wispeln der winzigen Flügelvölker, vielleicht sind auch Bienen oder Libellen dabei, die achtsam zu meiden sind, bieten eine angenehmen Unterhaltung für Moglis Duft-Expedition. Von ferne vernimmt sie verhaltenes Kindergeschrei, und von den Feldern das dringliche Krächzen der Raben.

Die angepeilte und aufgespürte Duftquelle erweist sich als nachlässig hingeworfene Cola-Dose. Mit spitzer Zunge prüft Mogli die auf Gräsern verteilten Reste der Flüssigkeit und wendet sich schaudernd ab. Sie lauscht in den Wald hinein - das übliche Knacken, Knistern und Knirspeln. Ein schreckhafter Zaunkönig spaddelt im Tiefflug durchs Geäst, und eine nachlässige Amsel pickt zwischen zwei Baumwurzeln blindwütig und erfolglos in den weichen Boden nach einem Wurm oder einer Larve. Knapp daneben ist auch vorbei, denkt Mogli und wendet sich gelangweilt ab. Schrapp, der Hase dürfte noch im Verborgenen ruhen, bevor er sich in der Dämmerung auf den Weg über die Felder machen wird, und Sinter, der  Fuchs, schläft in der Dachshöhle, bewacht von seinem schwarz-weiß gestreiften Kumpel Griese.

Nichts los, heute, an diesem Spätsommer-Nachmittag. Ich sollte einmal Frauchen konditionieren, dass sie mich etwas später laufen lässt, und zwar dann, wenn die Sonne hinter den Vogesenkämmen versinkt und wohltuende Feuchtigkeit aufsteigt, die Duftfahnen aktiviert und verstärkt, wenn die nervösen Vögel ihren Nestern zustreben und wenn die Freunde der Nacht aus ihren Höhlen spazieren, um die Welt zu erobern. Aber so und jetzt?

Mogli streift durch das halbhohe Gras und bewegt sich auf den Feldweg zu. Da drüben, auf dem Kartoffelfeld, die Raben! Was für seltsame Gesellen! Manchmal krächzen sie auf, alle zusammen und urplötzlich. Sie erheben sich in die Luft, alle zusammen und gleichzeitig. Dann kreisen sie über das Feld, Flügel an Flügel, Feder an Feder, wie es scheint. Selbst im Winter fliegen sie unter drückenden Wolkenmassen rufend und schreiend und in eisiger Kälte über das weiße Feldermeer dahin. Wohin? Das wissen sie wahrscheinlich selbst nicht. Oder doch?

Mogli hat den Feldweg erreicht und beschließt, den Rückweg anzutreten. Frauchen wird mit zagender Miene und Kräusellippen auf der Terrasse stehen und ein vorwurfsvolle "Na, das wurde wohl auch Zeit!" ablassen. Wie immer, oder fast immer. Derweil wird  Grünfink auf dem Ast des Rosenbäumchens sitzen und sorgfältig, viel zu sorgfältig, sein Gefieder putzen, um mit seinem unverschämten Vergnügen über mein Zuspätkommen allein sein zu können.

Aber heute soll alles ganz anders kommen. Es fängt damit an, dass die noch fernen Raben, es mögen an die zwanzig oder dreißig sein, auffliegen und sich zu einem dichten Pulk zusammentun. In einer weiten Schleife halten sie auf das Dorf zu. Davon merkt Mogli zunächst noch nichts. Als aber das Geschrei und Gekrächze immer näher kommt, stutzt sie.

Die Raben besuchen unser Sonngarten, denkt Mogli. Das ist ungewöhnlich, weil ich solche Aktivitäten nur vom Winter her kenne. Sie hält inne, setzt sich und beobachtet aufmerksam das Treiben. Tatsächlich, die Raben flattern wie eine dunkle Wolke geradewegs auf das Dorf zu. Ihr Schreien nimmt an Lautstärke zu, und die Tibeterin realisiert, dass die Rabengesellschaft gleich über sie hinwegbrausen wird.

Doch, sie erstarrt, was ist das? Einige Rabenvögel haben sich aus dem Pulk gelöst und stürzen im Kampfflug wild kreischend direkt auf sie zu. Mit einem flinken Satz springt der Hund zur Seite, doch da haben bereits scharfe Schnäbel Kerben in ihr linkes Ohr geschlagen und ihr Nackenfell zerzaust. Der Schock fährt in ihre Glieder und lässt sie zur Salzsäule erstarren. Da naht schon die nächste Angriffswelle, und Mogli schafft es gerade noch, mit einem weiteren Satz in die Sträucher zu springen, die den Weg vom Feld trennen. Von einem Zwicken im Schwanz und in den Hinterläufen bleibt sie allerdings nicht verschont.

Hier bin ich sicher, denkt sie. Was ist nur in die Raben gefahren? Wieso greifen sie mich an?

Der Schwarm kreist in weiten Schleifen um das Gebüsch, und Mogli kriecht mühsam durch das dichte Gestrüpp dem kleinen Brückchen zu, das einen längst versiegten Bachlauf überspannt. Brombeeräste mit scharfen Dornen behindern und plagen sie. Kletten vergraben sich in ihrem Fell. Immer wieder muss sie innehalten, um sich von dem lästigen Astwerk zu befreien. Das ist schmerzhaft.

Die Raben kreisen ohne das übliche Krächzen immer noch über ihr. Das Rauschen klingt bedrohlich, unheimlich.

Wenn ich erst einmal die Brücke erreicht habe, springe ich von Baum zu Baum und flitze anschließend zur Obstbaumwiese hinüber. Wenn ich das Rauschen und flattern im Nacken spüre, schlage ich einen Haken und noch einen. Das müsste klappen. Unter den Obstbäumen bin ich gerettet, und dann ist es nicht mehr weit nach Hause.

Moglis Plan geht auf. Die Angriffe der Raben, die sich mit wildem Gekrächze auf den Hund stürzen, sind folgenlos geblieben. Mogli ist in Sicherheit. Die Raben sammeln sich über den Obstbäumen, schrauben sich in die Höhe und fliegen der bereits niedrig stehenden Sonne entgegen auf das ferne Gehöft der Kaltenbachs zu.

"Mein Gott, das Hundele! Zerrupft und verletzt! Voller Äste und Kletten. Wo hat es sich nur herumgetrieben?"

War zu erwarten, denkt Mogli und blinzelt zu Grünfink hinüber, der auf einem Ast des Rosenbaumes hockt und mit vor Schrecken geweiteten Augen auf den Hund starrt.

"Ja, staune nur, du kleiner Flattermann! Deine Artgenossen haben es in mörderischer Absicht auf mich abgesehen. Warum auch immer."

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"Wir sollten Schnee, die Katze fragen, was das Rabenvolk umtreibt."

Grünfink hat sich später auf den Rand der flachen Vogeltränke auf der Terrasse niedergelassen. Mogli blinzelt durch die Fellsträhnen in die Abendsonne.

"Wenn ich jetzt meine täglichen Streifzüge aufgebe, dann schleppt mich das besorgte Frauchen zum Tierarzt. Und das kann nicht sein."

"Mogli-Löwenherz! Da musst du durch!"

"Gut gesagt, Grünfink!"

In diesem Augenblick fliegen zwei Raben mit leichtem Flügelschlag über das Haus hinweg auf den Schwarzwald zu und geben ein zweideutiges Krächzen von sich, das rasch im abendlichen Alltagsgeräusch verklingt. Mogli erhebt sich, setzt sich auf ihr Hinterteil und versucht, Witterung aufzunehmen - von was auch immer. Dann schleckt sie sich das Maul, gähnt, legt sich wieder hin und bettet den Kopf etwas seitwärts neben die Vorderpfoten. Mit einem "ich sehe mich einmal nach Schnee um!" flattert Grünfink hinauf zum Pflaumenbaum und von dort hinüber zum Bauern Rimsinger.

Ich müsste mir einen neuen Weg ausdenken, grübelt Mogli. Zu den Obstbäumen gelange ich, ohne Gefahr zu laufen, von den Raben auf dem Feld entdeckt zu werden. Es sei denn, der weiße Schäferhund mit dem peinlichen Namen Rex von gegenüber bemerkt mich und würgt sein neidisches Gekläffe heraus. Das könnte die Raben alarmieren. Dann bleibt nur noch eines: Pfeilschnell zur Brücke hinüberschießen, Baum, Gebüsch und mit ein, zwei Sätzen über das schmale Wiesenstück hinein in den Wald! Das könnte klappen. Aber dann fängt die gesamte wäldische Vogelwelt an zu kreischen, um den Eindringling zu vertreiben. Die Raben haben inzwischen längst Position bezogen, kreisen über den Bäumen und wissen sicher genau, wo ich gerade herumtigere und wo ich irgendwann einmal am Waldesrand auftauche.

Herumtigern ...Plötzlich, wie von der Tarantel gestochen, wirft sich Mogli herum. Sie steht auf allen vier Pfoten und schaut hinüber auf das abgeerntete Kornfeld. Mindestens ein Drittel davon ist schwarz gepunktet. Die Raben. Dort hocken sie. Ihre Köpfe mit den schweren harten Schnäbeln, weisen in Moglis Richtung. Sie schüttelt sich. Herumtigern ...

"Unser aller Hundele ist in Sorge, weil er sich vor Vögeln fürchtet", kommt es leise aus dem Buchs. Sogleich erscheint ein schneeweißes Fell, aus dem zwei grüne Augen leuchten.

"Ich glaube, ich bin gerade dabei, die Furcht zu verlieren, liebe Schnee!"

Mogli schleckt kurz das Ohr von Schnee - die übliche Begrüßungszeremonie. Schnee schnurrt behaglich.

"Du denkst ans Herumtigern, Mogli?"

"Lassen wir das! Hast du etwas in Erfahrung bringen können?"

Schnee setzt sich und lässt ihren Schwanz zu ihren Vorderpfoten gleiten. Sie richtet ihre Augen hinaus auf das Feld.

"Mit dem Rabenvolk ist etwas nicht in Ordnung. Ich beobachte das seit geraumer Zeit. Sie sind so emsig, ich meine, zu emsig. Sie suchen und scharren, manchmal sogar im Wald. Was treiben sie dort? Mein Freund Griese, der Dachs meinte, die Marder seien im Vormarsch. Aber was hat das mit den Raben zu tun?"

Nach diesen Worten verabschiedet sich Schnee. Sie hat verschiedene Katzensachen zu erledigen, unter anderem das Mäusevolk drüben beim Bauern ein wenig zu disziplinieren. Auch Grünfink gibt Mogli zu verstehen, dass es nun Zeit sei, das Nest aufzusuchen. Mogli nimmt sich vor, am folgenden Tag, wie gewohnt, ihr Revier aufzusuchen.

Herumtigern!

Am nächsten Tag macht sich Mogli wieder den Weg. Sie hat gerade die Terrasse verlassen und strebt der Obstwiese zu. Dort hält sie kurz inne und lauscht. Sie vernimmt ein Krächzen. In einer weiten Schleife zieht ein Rabe über sie hinweg auf den Kirchturm zu. Ein erneutes Krächzen wird die Kumpane auf dem Feld alarmieren, denkt sie. Das geht in Ordnung. Ruhig passiert sie den Kuhstall, vor dem der angekettete Rex lauert. Er springt sofort auf und kläfft wütend. Soll er doch!

Die Obstbaumwiese lockt mit allerlei Gerüchen und pointiert plazierten Duftmarken, doch Mogli kümmert sich heute nicht um die neuesten Nachrichten. Im Kräfte sparenden Passgang, einem Geschenk ihrer Rasse, erreicht sie die Brücke und blinzelt hinüber auf das Feld, wo sich ein Pulk der schwarz Gefiederten bereits erhoben hat und mit kriegerischem Geschrei näher kommt. Mogli hat bereits die Wiese überquert und betritt den Wald. Hinter einem schützende Gebüsch nimmt sie Platz und beobachtet, wie sich die Raben, es mögen etwa ein Dutzend sein, im Gras niederlassen.

Wenn sie mich gestern attackiert, anschließend beobachtet und mein heutiges Kommen sofort gemeldet hat, dann will diese verdammte Bande etwas von mir. Einschüchtern und Fordern - das ist deren Devise.

Mogli schließt die Augen und verlässt sich ganz auf ihr Gehör. Da hocken sie und schmätzeln. Vereinzelt ist ein heiseres und verhaltenes Krächzen zu hören.

Mogli konzentriert sich und schaut in sich hinein. Vor ihrem inneren Auge zieht über die eisige Weite die Herde. Der Schnee peitscht dem Vieh, das mit gesenktem Gehörn gegen den Sturm anstampft, in den Nacken. Schneetiger kreisen in der Ferne, doch trauen sie sich nicht, anzugreifen, da die unermüdlichen Tibeter die Yaks zusammenhalten. Ein wahres Kunstwerk. Wie ein übermächtiges einziges Tier, umrundet von den Hunden, wälzt sich die Herde voran, sich in ihrem engen Beieinander selbst schützend. Immer wieder gleitet ein Hund leichtfüßig über die Rücken der Yaks, um den Kopf, die Speerspitze des wühlenden und schnaufenden Haufens zu überprüfen. Nein, die Schneetiger haben keine Chance.

Mogli schreitet hoch erhobenen Hauptes aus dem Wald und auf die Raben zu, die sich nervös aufrichten. Einige flattern und hüpfen ein, zwei Meter nach hinten. Sie setzt sich auf ihr Hinterteil und schaut in die Runde.

"Da ist es ja, das Sklaventier!"

"Pfui dir! Du widerwärtige Kreatur, die sich den Tierschändern verschrieben hat und deren schmutzige Nester teilt!"

Ein Rabe, hüpft hervor. "Wir könnten dich jetzt verrupfen, zerhacken, zerkleinern und dein stinkendes Gedärm über die Felder verteilen!"

Mogli bleibt stoisch sitzen und rührt sich nicht. Keine auffällige Bewegung! Kein Schlecken des Mauls, und an Kratzen darf jetzt nicht einmal gedacht werden! Mit möglichst ruhiger Stimme, der sie einen devoten Unterton verleiht, spricht sie den Raben an: "Was wollt ihr?"

"Aha! Sie hat es begriffen! Jawohl, wir wollen etwas von dir!"

"Nur zu! Wenn es in meiner Macht liegt, bekommt ihr, was ihr wollt!"

Ein weiterer Rabe hat sich ebenfalls nach vorn gewagt.

"Hölzchen! Wir benötigen Hölzchen, dünn und etwa so lang wie deine Schnauze. Beiße sie dir aus Ästen zurecht und schaffe sie, wohl angehäufelt, unter die Brücke. Du weißt schon!"

"Ihr benötigt Hölzchen?"

"Jawohl, du Bettvorleger, Hölzchen!" Der Rabe, der das Wort zuerst ergriffen hat, hüpft mutig einen halben Meter vor. "Deine verdammten Futtergeber haben die Felder vergiftet. Verzweifelt suchen wir nach Nahrung und haben kaum noch Zeit Nester zu bauen. Du musst uns helfen! Aber wir bitten dich nicht darum, sondern befehlen es dir!"

"Lass gut sein, Borr!" Der zweite Rabe hüpft ebenfalls heran. "Ich bin Kirra, und seit einiger Zeit mit Borr zusammen. Er hat Recht. Wir brauchen die Hölzchen ... dringend!"

"Geht in Ordnung! Ich tue, was ich kann." Mogli schleckt sich über die Nase. Die Raben flattern erschrocken zurück. Nur Kirra bleibt stehen und fixiert den Hund.

"Ich werde heute", fährt Mogli fort, "euch nicht mehr zu Diensten sein können. Man erwartet mich zu Hause. Morgen aber werdet ihr die Hölzchen in beträchtlicher Menge unter der Brücke finden." Sie wendet sich Kirra zu: "Du kannst mir vertrauen, Kirra!" Sie schleckt sich ein weiteres Mal das Schnuffelchen. Dann steht sie auf, geht ein paar Schritte zurück und fasst die Brücke ins Auge. Sie dreht sich noch einmal um: "Übrigens, meine Name ist Mogli!" Fließenden, federnden Gangs zieht sie von dannen, ein erstauntes Rabenvolk zurücklassend.

Am Vormittag des folgenden Tages haben sich Schnee, Grünfink und Mogli auf der Terrasse zusammengetan, um die folgenden Schritte zu beratschlagen.

"Ist das Rabenvolk tatsächlich so ordinär, wie kolportiert wird?" Grünfink hockt an der Vogeltränke. Mogli liegt entspannt halb unter dem Gartentisch. Sie hebt ihren Kopf.

"Nun, ich würde sagen, sie haben Angst, fürchterliche Angst. Die entsprechende Duftmischung wehte an mir vorbei."

"Und wer ängstlich ist, wird ausfallend", ergänzt Schnee, die sich neben der Buchskugel niedergelassen hat. "Dieser Raben-Vorfall ist mysteriös. Fragt sich nur, was dahintersteckt."

"Das werden wir in Erfahrung bringen müssen". Moglis Blick wandert zwischen Schnee und Grünfink hin und her.

"Nachdem du die Stöckchen unter dem Brückenboden abgelegt hast, werden wir einen Beobachtungsposten einrichten." Schnees Schwanz schlägt, wie zur Bekräftigung kurz auf die Fliesen. Sie blinzelt hinüber zu Grünfink. "Du musst die erste Wache schieben, Grünfink, und zwar von heute Mittag bis zum frühen Abend."

Grünfink plustert sich auf und schüttelt die Wassertropfen ab, die er aus der Vogeltränke über sein Gefieder hat träufeln lassen. "Geht in Ordnung, Schnee. Du möchtest sicherlich wissen, wer die Hölzchen abholt."

"Die Raben werden es wahrscheinlich nicht sein", gibt Mogli zu bedenken. "Und wer ist am Abend dran?"

"Das kann Zipp, der Zaunkönig, erledigen. Der hält sich im niedrigen Gesträuch auf. Dort ist er fast unsichtbar, und bei Gefahr ist er weg wie der Blitz. Ich werde ihn bei meinem Wachgang darum bitten."

"Und in der Nacht werde ich mich auf den Weg machen. Ich glaube, ein gutes Plätzchen zu kennen, wo mein weißes Fell nicht auffällt."

"Du meinst, auch nachts sollte die Brücke überwacht werden?" Grünfink reckt sein Köpfchen in die Höhe.

"Gerade in der Nacht, Grünfink, bis zum Morgengrauen."

Nach einer Weile, Schnee und Grünfink haben sich verabschiedet, um ihren Geschäften nachzugehen, macht sich Mogli auf den Weg in den Wald, um im Unterholz nach geeigneten Ästen zu suchen und diese auf das verlangte "Stöckchen-Maß" zurechtzubeißen. Während sie die Brücke passiert, fühlt sie sich beobachtet und wundert sich nicht, als sie auf der Spitze des Feldkreuzes über dem leidvollen Antlitz Christi Kirra erblickt. Mit leisen Krächzen grüßt der Rabe den Hund, der kurz kräftig wedelt und seinen Weg in den Wald fortsetzt.

Äste, Äste, Äste! Überall liegen sie herum. Und die Raben sollen keine Zeit haben, ihre Nester zu bauen? Kaum zu glauben. Nun denn, an die Arbeit!

Geschickt zerlegt Mogli das Holz, trennt kleinere Triebe von größeren ab, sortiert sie aus und stutzt sie auf die gewünschten Maße. Ein Maulvoll kann sie schon unter den Brückenbogen tragen, dann folgt der Rest. Es dauert nicht einmal zwanzig Minuten, bis Mogli ihre Pflicht erfüllt hat. Stolz blickt sie auf ihr Werk. Die Raben werden sich freuen, denkt sie, und die Geschichte nimmt ihren Lauf.

Mittlerweile ist Kirra vom Feldkreuz hinab auf das steinerne Brückengeländer gehüpft. "Dank dir Mogli! Darf ich dich bitten, morgen die Hölzer neben den Grenzstein am Waldrand aufzustapeln? Du weißt schon, dort, wo der Waldpfad in den Feldweg mündet."

"Das mach ich gern, Kirra. Grüße deinen Partner Borr!" Mogli ist kurz stehengeblieben und schaut dem davonfliegenden Raben nach. Warum wählen die Raben für die morgige Sammelaktion einen anderen Platz? Das gilt es ebenfalls zu ergründen. Nachdenklich hält Mogli auf die Obstbaumwiese zu. Das Kläffen von Rex überhört sie. Der Schlüssel zur Lösung des Rätsels liegt bei den Raben. Ich glaube, Kirra ist schon fast auf meiner Seite.

Es trifft sich gut, dass sich am frühen Abend Herrchen zum Bauer Rimsinger begibt, um Eier und Salat zu holen. Bei der Gelegenheit sitzen die beiden auf dem Bänkchen vor dem Haus und trinken genüsslich ein Bier. Ich werde ihn begleiten, denkt Mogli, und bei dieser Gelegenheit nach Schnee Ausschau halten. Sie sollte wissen, dass ein überraschender Platzwechsel für die Stöckchen-Deponie angesagt ist.

"Wieso überraschend, du kluge Tibeterin?" Schnee hockt im Hasenstall auf einem Regal und schaut auf Mogli herab, die sich sogleich verlegen am Ohr kratzt.

"Nun ja, unter dem Brückengewölbe ... Ich meine ...!" Dann stutzt sie. "Du meinst, wenn ich zum zweiten Mal am selben Platz die Stöckchen ..."

"Jawohl, dann hat sich das nächtliche Transportunternehmen verraten, da es für deine scharfe Spürnase eine Visitenkarte hinterlegt hat."

"Potzblitz!"

"Man kann nicht alles wissen oder erahnen, liebe Mogli. Außerdem, denke daran ..."

"Ja, ja! Ihr Katzentiere seid schon viel länger auf der Welt als wir, die wir der minderwertigen Hunderasse angehören. Deswegen könnt ihr uns gegenüber einen mentalen Vorsprung behaupten." Mogli schleckt sich die Pfote und fügt spöttisch hinzu: "So geht doch dein Lied, Schnee, oder?"

"Herrchen wartet auf dich und wird gleich rufen!" Damit springt die Katze elegant vom Regal, windet sich um den Türpfosten und stolziert über den Hof. Im selben Augenblick hört Mogli, wie Herrchen nach ihr ruft.

Als sie die Terrasse betritt, wartet Grünfink bereits auf einem Zweig des Rosenbaums.

"Zipp hat übernommen. Keine besonderen Vorkommnisse. Es kamen immer mal wieder Raben herangeflattert, um das stolze Bündel unter dem Brückenbogen zu begutachten. Manche sind auch auf die Hölzchen gehüpft, als ob sie Duftmarken hinterlassen wollten. Ich konnte das nicht so genau ausmachen. Sie haben dann aber sofort wieder das Weite gesucht."

War wohl nicht anders zu erwarten! Duftmarken! Mogli steigt die Treppe herab und begibt sich in den Vorgarten. "Ich denke, dass es die Nacht an den Tag bringen wird. Morgen früh wissen wir mehr, wenn Schnee berichtet hat."

"Wirst du morgen wieder auf Hölzchensuche gehen?"

"Habe es versprochen."

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Manchen Katzen sieht man es nicht an, ob sie übernächtigt sind, da sie müde aussehen und häufig schläfrig in einer Ecke sitzen, die Vorderpfoten nach hinten abgeknickt und unter den Bauch geschoben. Das täuscht natürlich. In Wirklichkeit sind sie sind hellwach, reagieren auf jedes Geräusch und scannen selbst aus halb geschlossenen Augen das Umfeld ab. Das ist ihre Stärke und das Verderben ihrer Feinde.

"In der Ruhe liegt die Kraft!", lispelte sie einmal Mogli zu, die sich wortlos abwandte, als habe sie diesen für ihre Ohren törichten Spruch überhört. Eine Tibeterin ist in sich ganz Kraft, und dort, wo Schneetiger in wütenden Schneestürmen gierig die bewachten Herden umkreisen, stellt sie ihre mentale Kraft unter Beweis. "Suche du, Katzenlady, die warme Ofenecke. Meine Heimat ist das vereiste Hochland Tibets!", warf sie Schnee einmal vor die Pfoten, die trocken und spöttisch konterte: "Heute Nacht wird wieder einmal die warme Bettdecke vom Frauchen dein Nest sein. Träume nur vom vereisten Hochland, du wackere Heldin der schneeumtosten Weiten!"

Damit kann ich leben, denkt Mogli, der die alte Freundin teuer und lieb ist. Seit den frühen Morgenstunden wartet sie auf die Katze. Irgendwo wird sie jetzt hocken, die Leichtfüßige und Lautlose, und so tun, als ob sie schon stundenlang mein Erscheinen erwarte.

"Es sind die Marder, wie ich mir fast gedacht hatte!" kommt es leise von hinten. Erschrocken wirft sich Mogli herum. Da sitzt Schnee und leckt sich die Pfoten.

"Es dürfte nach der mitternächtlichen Stunde gewesen sein, wie mir die Kirchturmuhr meldete, als zwei Marder auftauchten und nervös fiepten. Ein weiterer Marder kam hinzu. Rasch sammelten sie die Stöckchen ein und trugen sie im Maul fort. Ein vierter Marder schlich etwas später heran und holte den Rest."

"Die Marder brauchen Stöckchen und erzwingen sie offensichtlich von den Raben? Also werden die Raben bedroht, und man muss ihnen helfen!"

"Doch zunächst sollten wir wissen, welcher Art diese Bedrohung ist, liebe Mogli!" Schnee passiert langsam den Hund, setzt sich vor den Buchs. Sie hebt den Kopf und blinzelt in den Himmel. "Grünfink ist unterwegs zu uns!"

"Die Vogelwelt ist entsetzt!" Grünfink flattert aufgeregt auf die Vogeltränke zu und lässt sich am Rand der flachen Tonschale nieder. "Die Meisen, Buchfinken und Rotschwänzchen plappern von nichts anderem: Die Marder sind im Vormarsch und bedrohen die Raben!" Hastig schluckt der Vogel ein paar Tropfen Wasser. "Selbst Meister Kork, der Kleiber, piepst heiser, dass sich die Vogelwelt wappnen müsse. Die Spechte und Eichelhäher im Wald sind in Alarmbereitschaft. Man muss befürchten, dass kein Vogelnest mehr sicher ist."

"Aha! Es geht also um die Vogelnester. Interessant!" Mogli wendet sich Grünfink zu. "Du begleitest mich heute Vormittag bei meiner Hölzchensuche und solltest, nun ja, zuvor die Runde machen," und mit einem Seitenblick auf Schnee, "du weißt schon!"

Schnee stellt lediglich die Ohren auf, um ihr Einverständnis zu signalisieren. Grünfink hüpft nervös auf.

"Das ist aber ..."

"Ich weiß. Das ist außerhalb deines Reviers. Aber ich brauche dich, denn ich habe einen Plan." Und mehr für sich: "Ich hoffe Kirra ist auf dem Weg."

Schnee spricht Grünfink Mut zu und bringt die Situation auf den Punkt. "Die Vogelwelt im Wald ist anscheinend kurz davor, den Ausnahmezustand auszurufen. Das betrifft auch dich, Grünfink. Was im Wald passiert, kann schnell übergreifen auf die Büsche entlang der Felder, auf die Bäume im Dorf und auf die Gärten."

Grünfink seufzt auf. Er hüpft mit hängenden Flügeln auf Mogli zu. "Versprich mir, dass du immer im meiner Nähe bleibst!"

"Natürlich. Komm schon! Flieg voraus, damit du rechtzeitig am Brückchen bist, nachdem du die Runde im Dorf absolviert hast!"

Schon von Weitem hat Mogli Kirra auf dem Feldkreuz ausgemacht. Der Hund grüßt und verschwindet schnell mit ein Paar Sätzen im Wald. Die Wipfel der hinteren Bäume sind schwarz gesprenkelt. Aha! Das Rabenvolk hat sich eingefunden. Besser kann es sich gar nicht treffen. Von Ferne vernimmt Mogli Grünfinks zwitschern. Alles a posto. Sie knickt zwei drei Äste ab, zerbeisst sie sorgfältig und sondert vier, fünf Hölzchen aus. Die trägt sie zum Grenzstein. Dann schlägt sie den Weg zur Brücke ein. Entsetzt hüpft Kirra vom Kreuz auf.

"Mogli, nur so wenig Hölzchen? Das kann nicht sein! Das ist gegen die Abmachung!" Verzweifelt krächzt sie laut.

Mogli hält inne. Das Krächzen war das Signal, denkt sie und schaut zurück zum Wald. Mit einem mächtigen Rauschen erhebt sich dort das Rabenvolk von den Ästen, sammelt sich und senkt sich in dichter Formation hinab auf die Wiese. Zwei, drei Raben fliegen etwas weiter auf die Brücke zu.

"Du dreckige Ausländerin! Gestern waren es schon zu wenig und heute...? Das ist eine Beleidigung! Marsch zurück an die Arbeit!"

Mogli bleibt ruhig sitzen und nimmt mit Erleichterung wahr, das Kirra ihren Platz auf dem Kreuz nicht verlassen hat. Mogli wendet sie sich an Borr.

"Gestern habe ich die Stöckchen für euch gefertigt, gesammelt und zum vereinbarten Platz gebracht. Warum wollt ihr, dass ich sie heute zu einem anderen Platz trage?"

"Du stinkiger Zottel, du erbärmliche Sklavenseele! Du hast keine Fragen zu stellen, sondern zu gehorchen. Also, ab die Post, und zwar sofort!"

Mogli rührt sich nicht, denn Ruhe muss sie nicht herbeizwingen: "Ich warte auf deine Antwort, Borr!"

Aggressiv hüpft Borr auf den Hund zu, hält aber erschrocken inne, als er Grünfink erblickt, der mit fröhlichem Zwitschern herbeifliegt und sich flink im Nacken vom Hund ein Plätzchen zurechtscharrt.

"Was soll das!"

"Das ist Grünfink, mein Freund!"

Und da Borr vor Erstaunen sprachlos bleibt, fährt Mogli höflich fort:

"Ich habe deine Frage beantwortet, und nun bitte ich dich, Borr, auch meine Frage zu beantworten."

"Bodenlose Frechheit! Ein Signal von mir, und ihr beide werdet in Stücke gehauen, so dass man den Brückenweg mit euren kläglichen Leibesfetzen pflastern kann."

Grünfink fliegt auf, zwitschert und senkt sich wieder zurück ins Nackenfell von Mogli, die Borr fixiert und ihm leise zuraunt:

"Das war unser Signal. Nun warten wir auf dein Signal, Borr!"

Verdutzt schaut Borr vor sich hin. Das versteht er nicht. Er schüttelt sich. Sein Gefieder plustert sich im blau-schwarzen Glanz auf. Doch schnell hat er die Fassung wiedergewonnen. Nicht schnell genug, denn plötzlich fliegt ein Elstern-Pärchen auf Mogli zu und lässt sich an seiner Seite nieder.

"Seid gegrüßt Franco und Franca ..."

Im selben Augenblick rauscht es durch die Luft und vom Kirchturm schießen die zwei Falken Secondo und Seconda herab, um sich ebenfalls neben Mogli zu postieren. Laut schreiend, das es durch Mark, Bein und Federkiel dringt, kommt Cop der Eichelhäher herangebraust. "Die anderen Kumpels sind schon unterwegs!" bringt er keuchend heraus, während er vor Mogli aufsetzt und gleich darauf mit auf Borr zuhüpft.

Das kann Borr aushalten, doch was er jetzt zu sehen bekommt, lässt den Raben vor Entsetzen erstarren. Unter der Brücke kommt stolz Schnee hervor und postiert sich neben die Elstern. Borrs Kopf schießt herum. Aus dem Wald schleichen Krafti, der schwarz-weiße Hauskater und Tonga, die im Dorf und in der Region gefürchtete rot-getigerte Katze heran.

Ein Teil des Rabenschwarms hat sich erhoben und fliegt laut schreiend davon. Borr ist zurückgewichen. Ratlos lässt er seinen Kopf kreisen. Der größte Teil seiner Gefolgschaft hat sich davon gemacht. Borr dreht sich um und will ebenfalls gerade wortlos das Feld räumen, als Kirra herbeisegelt, sich neben ihren Gefährten stellt, ihn liebevoll mit dem Schnabel im Nacken peckt, um unverzüglich auf Mogli zuzuhüpfen.

"Sei gegrüßt, Kirra!"

"Sei gegrüßt, Mogli!" Sie schaut in die Runde. "Seid alle gegrüßt, ihr Freunde von Mogli!" Sie dreht sich kurz zu Borr um, der stumm bleibt und offensichtlich das Kommando an seine Gefährtin abgegeben hat. Kirra zupft eine Feder an ihrem linken Flügel zurecht, hebt ihren Kopf und streckt die Brust vor.

"Es sind die Marder, die uns zu Abgaben zwingen. Sie erpressen von uns täglich Unmengen von Stöckchen, mit denen sie offensichtlich einen blühenden Handel in Sonngarten und in der Region führen."

"Oh ja, das kann man sagen!" Sinter der Fuchs ist aus dem Wald getreten, schnappt sich die Hölzchen am Grenzstein und marschiert zu Mogli. Er stupst sie mit der Nase ins Fell.

"Na du tibetanische Hochland-Töle, veranstaltest du gerade eine Anti-Raben-Party mit deinen Freunden?"

"Eine Pro-Raben-Party, Sinter!"

"Recht so! Dann mal los auf die Marder-Mafia von Sonngarten und der umliegenden Feld- und Waldregion!"

"Halt!" Kirra springt vor. "So geht es nicht, verehrter Sinter!"

"Oh, sie verehrt mich", flüstert Sinter Mogli ins Ohr.

"Unsere Nester sind bedroht! Wenn wir nicht täglich unser Hölzchen-Soll erfüllen, wollen die Marder unsere Nester plündern, kurz bevor die Jungen aus den Eiern schlüpfen!"

Franca, die Elster schüttelt sich. "Wenn ein vorwitziges Katzentier", sie wendet sich kurz Schnee zu, "entschuldige bitte, liebe Schnee!" Wenn also ein vorwitziges Katzentier sich auf unser Nest zubewegt, greifen wir es an."

"Das mag in lichten Chausseebäumen funktionieren, aber nicht im dichten Geäst unserer Wald-Behausungen. Die Marder schleichen sich von unten an die Nester heran - geschützt durch dichtes Astwerk -  und zupfen geschickt ein paar der untersten Hölzchen heraus. Dann purzelt aus dem Boden die Brut. Das Nest ist unbrauchbar und muss aufwändig repariert werden."

"Leone, die zweite Pfote vom Marderchef Corro, ist ein wahrer Teufel," ergreift Sinter das Wort. "Er ist ein Spezialist im Ausrauben von Nestern und im Massakrieren von Jungvögeln."

"Das hat unser Volk schon mehrfach erdulden müssen." Kirra seufzt.

"Woher hast du die Informationen, Sinter?" Mogli fixiert aufmerksam den Fuchs.

"Ich habe die Marder-Gesellschaft seit einiger Zeit beobachtet und selbst schon gegen das Anliefern von Hühnereiern und Feldmäusen Dutzende von Hölzchen für die Renovierung unseres Baus erhalten."

Er stockt und schaut sich verlegen um, da er strenge Blicke einfängt.

"OK! OK! Freunde der Nacht! In letzter Zeit begann ich, die Zusammenhänge zu begreifen, die mir mit dem heutigen Tag glasklar geworden sind. Ich bin auf eurer Seite. Logo! Immer auf eurer Seite!"

"Und auf der Seite der Raben", wispert Grünfink aus dem Fell hervor.

"Und auf der Seite der Raben!" Sinter richtet sich an Kirra. "Wie aber, verehrte Kirra, können wir dir helfen?"

Kirra bleibt stumm. Mogli zuckt mit den Schulterblättern, das Zeichen für Grünfinks Auftritt. Der Vogel fliegt sogleich auf Kirra zu.

"Wir müssen sofort helfen, Kirra. Wenn die Marder heute Nacht keine Hölzchen finden, rückt Leone mit seiner Gang an und besteigt die Bäume eurer Siedlung. Ich nehme einmal an, fast in jedem eurer Nester ruhen Eier oder flattern feuchte Geschlüpfte."

"So ist es!" Kirra schluckt. "Aber was sollen wir tun? Ich habe keine Idee."

"Aber wir! Verlass dich auf uns! Es wird einiges zu tun sein, doch heute Nacht seid ihr geschützt!"

Schnell hat sich die Versammlung aufgelöst. Mogli, Grünfink und Schnee, sowie Kirra und Borr bleiben übrig. Man verabschiedet sich. Mogli verspricht, in der Dämmerung die "Schutzaktion der Raben" beginnen zu lassen. Borr und Kirra schauen sich fragend an, erheben sich in die Luft und fliegen davon.

"Und jetzt beginnt meine Schwerstarbeit." Grünfink lässt die Flügel hängen und wendet sich Schnee zu.

"Nur zu! Du Pick- und Zupfwunder! Das Frauchen von Mogli wird entzückt sein, warum sie kaum etwas zu bürsten hat, wenn sie auch die Gründe nicht verstehen wird."

"Na ja", äußert sich Mogli, "ist viel zu selten, dass sie meine Unterwolle herausbürstet. Ist immer mit diesen winzigen Glaskügelchen, die sie Perlen nennt, beschäftigt, mit denen sie, zugegebenermaßen, prachtvolle Armbänder hervorzaubert. Mein Fell aber bleibt auf der Strecke!"

"Auf denn!" Grünfink flattert in die Luft, und die Freunde streben dem Dorf zu.

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Allmählich häuft sich die Unterwolle aus Moglis Fell auf der Terrasse zu einem veritablen Wollgebirge an. Schließlich lässt sich Grünfink erschöpft vom Rücken des Freundes fallen. Schnee umkreist den Wollberg.

"Das müsste reichen. Was dein perlensüchtiges Frauchen an Hundehaaren unter den Autos verteilt, hat bislang jeden auf Gummischlauch begierigen Marder vertrieben."

"Nun denn!" Mogli werkelt sich auf die Pfoten. Sie streckt und reckt sich ausgiebig. "Wir sollten das Wollgebirge in den Wald schaffen."

"Fragt sich nur wie?" keucht Grünfink.

"Herrchen!"

Mogli betritt das Wohnzimmer durch die Terrassentür, wo Herrchen im Sessel sitzt und Zeitung liest. Frauchen ist aushäusig - wo auch immer. Mogli brummt und lässt kunstvoll eine verhaltene Jaul-Melodie einfließen. Das erweckt Herrchens Aufmerksamkeit. Er reißt sich von seiner Lektüre los und geht zur Terrassentür. Mit einem "Was ist los, Mogli?" geht er auf den Hund zu, beugt sich nieder, um ihn zu streicheln und stutzt, als er auf der Terrasse den Wollberg erblickt.

"Was ist das denn? Ach Gott! Wenn Frauchen das sieht! Hast du dir die Unterwolle etwa selbst herausgezupft? Wäre ja ganz neu! Egal, der Haufen muss weg! Fragt sich nur wohin? In den Mülleimer? Nee, ist zuviel! Ich packe das Zeug in einen Plastiksack und schaffe den Inhalt in den Wald beim Brückchen! Die Vögel werden sich freuen, Material für ihre Nester zu finden."

Gesagt, getan und schnell getan. Nach wenigen Minuten schon streben Herrchen und Mogli dem Wald zu. Der Sack wird entleert, und Mogli geht auf Schnüffeltour, ohne auf die Rufe des Herrchens zu hören.

"Dann bleibe eben noch eine Weile in deinem Revier! Komme aber rechtzeitig zurück, ansonsten wird Frauchen ... Na, du weist schon!"

"Was nun?" Mogli schaut Grünfink fragend an.

"Cop, der Eichelhäher, müsste bereits mit seinen Kumpels in den Ästen der Bäume unterhalb der Rabennester auf uns warten. Etwa zwanzig Meisen halten sich zudem bereit, die Woll-Wölkchen unterhalb der Nester kunstvoll ins Geäst zu heften."

Die Arbeit ist überraschend schnell erledigt. Die eilfertigen Meisen, wohl wissend, dass auch sie zur gefährdeten Gruppe zählen, wenn den Mardern kein Einhalt geboten wird, picken und kleben mit ihrem Speichel die Wolle an das Holz, nachdem die Eichelhäher das Schutzgut umsichtig verteilt haben.

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"Die kleinen Höllenhunde sind unterwegs. Nun beginnen sie, den Wald zu erobern!" Leone ist außer sich. Atemlos stürzt er in den Marderbau und berichtet Corro, dem Chef, vom gescheiterten Anschlag auf die Rabennester.

"Was erzählst du da für einen Unsinn! Höllenhunde ...!"

"Die Schwarzweißen, die auch unter den Fortbewegungsmaschinen der Tierschänder im Dorf hocken und uns während unserer nächtlichen Streifzüge oft genug das Fürchten gelehrt haben!"

Corro wischt mit seiner Vorderpfote nervös über seine Schnauze. "Das ist unübliches Verhalten", brummt er vor sich hin. "Da muss mehr dahinter stecken." Dann herrscht er seinen Kompagnon Leone an: "Wir geraten ins Hintertreffen. Die Schwarzflügel-Schreier konnten wir nicht abstrafen. Die Hölzer bleiben aus, und wir kommen mit den Lieferungen nicht nach." Dann blitzt es aus seinen Augen. "Wir brauchen eine Lösung, Leone! Eine Lösung muss her!"

Der Marder zuckt zusammen und zieht sich langsam rückwarts schleichend in den Bau zurück. Dort hocken weitere Marder und schauen Leone erwartungsvoll aus ängstlichen Augen an.

"Wir brauchen eine Lösung, Freunde! Zwei von euch begleiten mich in den Wald. Jetzt!"

In der Baumkrone am Waldesrand hockt Franca, die Elster und beobachtet, begünstigt durch das Licht des Mondes, den Ausflug der Marder. Die sind verunsichert, denkt sie, und das ist gut für uns. Sie verfolgt den Lauf der Marder, der zu den Rabenbäumen führt und von dort über die Wiese zum Feldweg. Im Schutz des Gebüschs eilen sie zur Brücke. Franca hebt ab und segelt lautlos durch die Nacht hinüber zur Obstbaumwiese. Die Marder haben inzwischen die ersten Häuser des Dorfes erreicht und huschen unter die geparkten Autos, wo sie allerdings nicht lange verweilen. Vor einer Scheune versammeln sie sich nahe einer Wassertonne.

"Freunde, die Luft ist rein", flüstert Leone. "Doch was mich stutzig macht ist ein Hauch von Höllenduft, der in der Luft schwebt. Lasst uns rasch weiter in das Dorf vordringen. Vielleicht lösen wir das Rätsel."

"Ist zu gefährlich, Leone! Wir könnten in den Schlund der Höllenbrut gestürzt werden." Lollo bedeutet Leone, den Rückweg anzutreten. Doch der entscheidet sich anders.

"Bleibt hier und wartet auf mich! Bin in Kürze wieder bei euch!"

Vom Dachfirst der Scheune hat Franca das Gespräch belauscht. Sie ist besorgt, dass Leone das Geheimnis der Mogli-Wolle lüftet. Dann wären die Raben nicht mehr sicher und auch nicht die stinkenden Radmonster, um die es allerdings nicht schade ist. Sie fliegt in die Höhe und umrundet den Kirchturm. Secondo hat das Zeichen der Elster verstanden. Er lässt sich vom Kirchturm fallen, breitet seine Flügel aus und schießt hinüber zur Terrasse von Mogli. Er landet unmittelbar neben dem Asphalthuscher von Moglis Herrchen, schlüpft unter die Karosse, pickt ein dort ein Büschel Mogli-Wolle hervor, fliegt rasch auf und segelt Richtung Kirchturm zurück. Schnell hat er Leone, den Marder, dicht an einer Häuserwand entlanggleitend, entdeckt. Sofort setzt er zum Sturzflug an. Ein plötzlicher Schlag gegen den Kopf überrascht den Marder. Er taumelt und kippt seitwärts um, rappelt sich aber schnell wieder auf. Mit einer Pfote streicht er über seinen Schädel, nimmt augenblicklich den Höllenduft wahr und erstarrt.

"Jetzt schießen die Höllenbiester schon aus der Luft zu uns herab! Wir sind chancenlos!" Außer Atem und mit bebender Stimme, immer noch bis ins Mark erschüttert, berichtet Leone vom Überfall.

"Was wird bloß Corro zu dieser Entwicklung sagen?"

Doch Corro ist nicht gesprächsbereit. Er ahnt wohl, dass seiner ehrenwerten Gesellschaft ein harter Schlag versetzt wurde. Wie soll man darauf reagieren? Aussitzen! Im Bau bleiben, die nötigsten Lieferungen herausgeben, bei der Kundschaft möglichst nicht den Verdacht erwecken, dass Engpässe zu erwarten sind und ... aussitzen! Doch als Leone ihm vom unerwarteten Luftangriff mit Höllenduft erzählt, kommt ihm eine Idee. Und diese Idee ist, das kann Corro natürlich nicht wissen, kompatibel mit einem Plan, den fast zur gleichen Zeit Mogli ins Auge fasst.

"Wir müssen handeln, und zwar sofort!" Mogli hockt mit Sinter, Grünfink und Franca am Waldesrand. Unter dem Brückenbogen wacht Schnee und wartet auf ein Kommando, das ihr Eingreifen erfordert. Von den Raben ist weit und breit nichts zu sehen und zu hören.

"Es ist leider nur eine Frage der Zeit, bis Wind und Wetter meine kunstvoll applizierte Unterwolle von den Baumstämmen und Ästen unterhalb der Rabennester wie Herbstlaub von den Bäumen hinweggefegt haben."

"Wohl wahr, Mogli", meldet sich Franca zu Wort. "Leone war heute Nacht auf Tour und bewegte sich in gefährlicher Nähe deiner Terrasse, um das Geheimnis der "Höllenbiester" aufzudecken."

"Ich weiß. Secondo konnte das verhindern. Und nun glauben die Marder, sie werden aus der Luft angegriffen." Die letzten Worte spricht Mogli leise vor sich hin. Sie verstummt und schaut plötzlich zu Franca auf, die auf dem Gartenzaun hockt. "Wir benötigen einen Boten, der den Mardern halbwegs vertraut ist ..."

Franca dreht und wendet sich. Verlegen lüftet sie einen Flügel und pickt Phantommilben aus dem Gefieder. "Du weißt, dass ich Kunde bei Corro bin?"

"Nun ja, deinem kunstvoll und solide gebauten Nest sieht man es an ..."

"Du musst aber auch wissen", Franca verstärkt ihre Stimme, "dass ich von Corros Machenschaften bislang nichts wusste!"

"Eben! Und Corro weiß von deinen Machenschaften mit uns nichts!"

"Darf ich fragen, Franca, mit welcher Münze du bezahlt hast?" Grünfink kichert. Franca gibt unwirsch zurück:

"Na, was wohl? Lauter glitzerndes Zeug, auf das wir Elstern kurzfristig scharf sind, es dann aber irgendwo liegen lassen, da wir es nicht benötigen. Also Glasstückchen, Schrauben, silbrig aufleuchtende Papierfetzen, funkelnde Steine mit Ringen und dergleichen mehr. Die Marder lieben solche Sachen und schmücken ihren Bau damit."

Sinter und Grünfink werfen sich vielsagende Blicke zu. In diesem Augenblick erscheint Schnee. "Ich habe euer Gespräch belauscht, und bin mir über die Botschaft von Mogli im Klaren. Damit ihr es wisst. Ich bin ihrer Meinung."

"Mogli hat aber noch nichts gesagt ...!" Sinter grinst und Grünfink hüpft fröhlich in das Nackenfell seiner Freundin.

"Leone wird im Marderbau sicherlich vom Luftangriff der Höllenbiester berichtet haben. Franca, du stattest Corro in den Abendstunden einen Besuch ab und verlangst nach deiner Lieferung, und dann bittest du Corro scheinheilig ..."

Mit großen staunenden Augen, offenen Schnäbeln und vibrierenden Schnauzbärtchen verfolgen die Tiere ihren Plan. Selbst Schnee, die Moglis Ausführungen gerne mit altklugen oder sarkastischen Bemerkung begleitet, bleibt stumm. Nachdem Mogli geendet hat, werden Verabredungen getroffen. Dann streben die Freunde ihren Behausungen zu. Die Aktion "Rabenschwarz" soll noch am selben Abend beginnen.

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"Ich warte auf Franca, die seit einigen Tage überfällig ist. Zum Glück liegt ihr Holzstapel bereit." Corro kauert mit Leone vor dem Bau im Schutz eines hohen Lindenbaumes am rückwärtigen Waldesrand, wo die weite, kaum zu übersehene Rasenfläche des Flughafengeländes beginnt.

"Die Elster erscheint meistens in den Abendstunden!" gibt Leone zurück. Freue mich schon auf die Glitzerwelten, die ..."

"Ruhe! Ich verlange heute keine Abgaben, sondern nur Informationen!"

"Trifft sich gut, Corro!" Franca, die schon seit einiger Zeit unbemerkt im Geäst des Baumes sitzt, fliegt herbei und lässt sich vor den Marder-Gesellen im Gras nieder. "Auch ich benötige Informationen, denn es geht etwas um im Wald!"

Corro windet sich. Leone blickt verlegen zu Seite. Franca fährt unbeirrt fort:

"Es geht um unsere Brüder und Schwestern, die Raben ..."

"Ach, die Raben, die Raben ..."

"Halt stopp, Corro! Alle Vögel im Wald sind solidarisch mit den Raben, was wohl auch verständlich ist. Aus diesem Grunde möchten wir euch ein Angebot machen und um Hilfe bitten!"

Corro und Leone reißen ihre Augen auf und starren verständnislos die Elster an. Leone findet als erster die Sprache wieder.

"Nun, liebe Franca, wir teilen zwar nicht deine Besorgnis, aber wir respektieren deine Solidarität." Und Corro, sichtlich erleichtert, schaut devot von unten herauf in Francas Augen.

"Hilfe sei dir gewiss, Franca. Keine Frage. Erzähl uns doch von deinem Angebot!"

"Wir haben herausbekommen, dass die merkwürdig duftenden Höllenbiester aus der Luft über die Tierwelt der Region hereinfallen und besonders die Rabenvölker bedrohen. Aus diesem Grunde bitten wir euch, des Nachts unterhalb der Rabenbäume Stellung zu beziehen, um die Höllenbiester abzuwehren. Nur ihr seid in der Lage, den Kampf gegen diese fürchterlichen Gegner aufzunehmen." Und mit leiser Stimme. "Wir Vögel sind machtlos, aber wachsam!"

"Nun, Franca, du kleiner bedrohter Elsternvogel", antwortet Corro, und man merkt seiner Stimmlage an, dass er Oberwasser bekommen hat, "was haben wir als Gegenleistung zu erwarten?"

"Nichts!"

"Oho!" Corro lacht laut heraus und wendet sich Leone zu, der mit verächtlicher Stimme "Du dumme Elster, aus diesem Geschäft wird nichts!" herausspuckt.

"Da bin ich mir nicht sicher! Denn auch wir haben an unseren Schutz gedacht. Cop, dem Eichelhäher und Secondo, dem Falken ist es gelungen, ein Höllenbiest zu stellen. Es sind Verhandlungen im Gang."

"Verhandlungen welcher Art?" Corro wirkt geschockt. Leone zieht seinen Kopf zwischen die Schultern.

"Wir würden, um uns und die Raben zu schützen, sämtliche Zugänge zu den Bauten von Mäusen, Ratten, Hamstern und ... natürlich auch Mardern, verraten, wenn die Höllenbiester die Vogelwelt in Ruhe lassen."

"Das ist Erpressung!" Leone verlässt unter Protest seinen Platz und zieht sich keuchend in den Bau zurück. Corro kneift die Augen zu Schlitzen zusammen und streckt ganz langsam eine Pfote nach vorn. Er zieht den schlanken und geschmeidigen Körper nach, so dass er mit seiner Schnauze fast schon den Schnabel der Elster berührt.

"Du hast gewonnen, Franca. Ich habe die Botschaft verstanden. Den Raben wird nichts passieren, nie wieder!"

Franca nickt ihm kurz zu, breitet die Flügel blitzschnell aus, erhebt sich und fliegt hinaus aufs freie, weite Feld. Von fern vernimmt sie noch den wütenden Schrei des Marders:

"Die erste Rund, Elster, ging an dich und deine Freunde! Die zweite Runde habe ich soeben eingeläutet."


Das war der erste Teil ...
Der zweite Teil mit dem Titel "Marder-Mafia" erscheint demnächst.


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