Mittwoch, 19. Oktober 2016

Botschaft und Bedeutung 3 Naturtransfer


Zur Ikonografie der Architektur von Zaha Hadid (1950-2016) NATURTRANSFER - DIE STATIONEN DER HUNGERBURGBAHN IN INNSBRUCK (2004-2007) 



Talstation der Hungerburgbahn, Foto Leo Stainer 1909 

Am 12. September 1906 fand die feierliche Eröffnung der ersten Hungeburgbahn statt.
Bereits am 1. September berichteten die Innsbrucker Nachrichten, „dass die Wagen der Hungerburgbahn drei geschlossene und zwei offene Abteile (Plattformen) mit einem Gesamtfassungsraum für 60 Personen besitzen“. Die Talstation der Seilbahn befand sich unmittelbar am rechten Innufer, also auf der Stadtseite von Innsbruck. Die Dauer der Fahrt betrug neun Minuten über den Inn und steil hinauf zum Hungerburgplateau.
Viele Innsbrucker und Tiroler Bürger waren entsetzt, als der Innsbrucker Gemeinderat im Jahre 2005 beschlossen hatte, die Hungerburgbahn - mittlerweile zu einem städtischen und nationalen Kulturdenkmal gereift - abreißen zu lassen. Der Abriss erfolgte im Jahr des 99. Geburtstags der Bahn. Eine Abschiedsfeier fand nicht statt. 

Foto Leo Stainer: Die Talstation der Hungerburgbahn. Mit freundlicher Genehmigung von www. SAGEN.at 

Bereits im Jahr zuvor begannen die Arbeiten der neuen von Zaha Hadid and Architects entworfenen Standseilbahn, die über vier Stationen von der Innenstadt über den Inn und hinauf zur Hungerburg führen sollte. Drei Jahre später startete die Bahn in unmittelbarer Nähe der Altstadt in der Station „Congress“, sie glitt durch einen langen Tunnel und wieder hinaus zur Station „Löwenhaus“, die am rechten Innufer steht und querte über eine s- förmige Schrägseilbrücke den Fluss. Ein weiterer Tunnelabschnitt folgte, und die Bahn setzte ihre Fahrt unter freiem Himmel fort hinauf zur sechsstöckigen Station „Alpenzoo“. Mit 46 Prozent Steigung erreichte der Panoramawagen schließlich die Endstation „Hungerburg“. 
Die als „einmalige touristische Attraktion“ gepriesene neue Hungerburgbahn, die offiziell genannte Nordkettenbahn, dürfte mit Sicherheit Touristen begeistern, wohl nur in einem begrenzten Maße die Einwohner von Innsbruck und Umgebung. 
Kann man sich die auch noch nach zehn Jahren futuristisch und bizarr anmutenden Stationen im Kontext mit der Bergwelt rund um Innsbruck erschließen? Ist hier ein Zusammenhang zwischen Architektur und Natur - ein bedeutender Part in Zaha Hadids Architektur-Choreographie - zu finden? Uns erscheint die „Rhetorik der Natur“ vertrauter, weil alltäglich und allgegenwärtig. Im Sonnenlicht träumende sanfte Talauen, schroff abweisende und spitze Felsformationen oder unendlich langsam dahinziehende Gletscherflüsse bieten ein unvergeßliches Schauspiel dar. In welchem Bezug aber stehen die merkwürdigen Gebilde von Zaha Hadid and Architects in der so begeisternden Bergwelt?

Station Alpenzoo, Foto Werner Huthmacher 

Vielleicht müssen wir zunächst die Sprache der spezifischen architektonischen Strukturen durchleuchten, ähnlich wie es uns mit der „Light Rail- Language“ der Fire Station auf dem Campus von Vitra in Weil am Rhein gelungen ist (Siehe Post „Botschaft und Bedeutung 1“). Diese Installationen sollten die Feuerwehrleute mit der Komposition ihrer Architektur vertraut machen. Das jedenfalls war die Absicht und die Botschaft der Architektin.

Station Congress, Foto Werner Huthmacher 

„Shell & Shadow“, das Credo der Architektin für das Nordketten-Standseilbahn-Projekt, also „Schale und Schatten“, sollten die Basis für den Verbund von Architektur und Natur beschreiben. Zaha Hadid wollte damit das Fließen und Gleiten der artistisch geformten Schalenkonstruktionen beschreiben, die durch die Gletscher der Tiroler Bergwelt inspiriert wurden. Jede Station wird ihren eigenen Charakter erhalten, um nicht nur auf die Besonderheiten ihrer Umgebung aufmerksam zu machen, sondern auch so etwas wie ein Zwiegespräch zwischen Architektur und Natur zu inszenieren. 

                Station Löwenhaus, 
            Foto Werner Huthmacher 

Die Station Löwenhaus, unmittelbar vor der s-förmigen Schrägseilbrücke über den Inn mit den hoch aufragenden Pylonen bietet einen spektakulären Anblick. Zaha Hadid und ihr Partner Patrik Schumacher heben ausdrücklich hervor, dass sie Gletschermoränen und gewundene Gletscherflüsse studiert haben, um die Rhetorik der Bergwelt kennenzulernen und auf die Sprache der Architektur zu übertragen. Das mochte sie auch veranlasst haben, diese Station mit einer „fließenden Brücke“ zu verbinden.


 Station Alpenzoo, Modell, 
Zaha Hadid Architects

Nach der Passage über den Inn taucht die Bahn in den Weiherburgtunnel ein und steigt steil hinauf zur Station Alpenzoo, die einen sechs-stöckigen Betonturm mit Treppenhaus und Lift bekrönt. 
Man möchte sich in einer Eiswelt, einer Art Gletschertunnel wähnen (Abb. unten).
Diese Illusion ist phantastisch in Szene gesetzt worden mittels einer vom Computer gesteuerten Fräsemaschinen (CNC milling), die das Design der Schalenform präzise in die konstruierte Dachgebilde der Station umzusetzen vermag.


Station Alpenzoo, Foto Hélène Binet 

Zaha Hadid Architects ist es gelungen, ein Designkonzept zu entwickeln, das für jede Station variantenreich angewendet werden konnte. Mit anderen Worten: Jede Schalenform ist individuell gestaltet, gehört aber derselben Design-Familie an.Wie eine Gletscherzunge scheint das Schalendach der Endstation Hungerburg aus dem Bergmassiv der Nordkette heraus zu drängen und öffnet sich für die Fahrgäste, um ihnen den Blick in die Alpenwelt zu ermöglichen.



Vielleicht muss man ein wenig Zeit investieren, um sich mit der Design-Rhetorik der einzelnen Stationen vertraut zu machen. Ein kurzer Aufenthalt in jeder Station wäre ratsam, um allmählich die enge Verbindung zwischen Architektur und Natur nachzuempfinden. Wenn auch der Verlust der ehrwürdigen Hungerburgbahn für viele Menschen wohl immer noch schmerzlich ist, sollte man auch das Engagement Innsbrucks für moderne und außergewöhnliche Architektur anerkennen. 

Sämtliche Fotos der Nordkettenbahn durfte ich mit freundlicher Genehmigung des Zaha-Hadid Office in London der Website: http://www.zaha-hadid.com für diesen Post entnehmen. 

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