Montag, 18. April 2016

Der Hub - Herzstück der Konstruktion

Richard Buckminster Fuller
Das geodätische Kuppelsegment auf dem Campus 

von Vitra/Weil am Rhein





 Im Jahre 2000 erwarb Rolf Fehlbaum, Vorsitzender der Vitra AG, die geodätische Kuppel, Buckminster Fullers „geodesic dome“, die 1975 in Zusammenarbeit mit Thomas C. Howard (geb. 1931) bei Charter Industries konstruiert wurde. Die Zeltkonstruktion wird heute, wie viele andere ihrer Art, für Events, Ausstellungen oder künstlerische Aktionen genutzt. Die vielen Besucher, die täglich den Vitra-Campus besuchen, sind fasziniert von der genialen Konstruktion und dem imposanten Innenraum.

Seit den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts experimentierte Buckminster Fuller (1895-1983) nach einem abgebrochenen Architekturstudium mit Tragstrukturen aus Leichtmetall, um multifunktionale Bauten zu konstruieren. Ihm schien die geodätische Kuppel viele konstruktive, statische und funktionale Forderungen zu erfüllen. 


Der Dome auf dem Campus von Vitra

Sein Ziel war es, Kunst, Technik und Ökonomie zusammenzuführen. Dabei ging es ihm unter anderem auch darum, dem Menschen umweltfreundliche Wohnräume anzubieten, die energiesparend sind und Naturnähe versprechen. Das eindrucksvolle Design der äußeren Dreiecksstruktur, unter der ein Polyesterzelt mit Pol-Belüftung und zwei Ein- beziehungsweise Ausgängen aufgehängt ist, erweist sich als perfekte Stützstruktur, da sich die dreieckigen Elemente gegenseitig stabilisieren. Jeweils sechs Stäbe kreuzen sich in einem Hub und werden dort zusammengehalten (zu genaueren Erläuterung der Konstruktion siehe weiter unten).

Die Tochter von Thomas C Howard, Katrina Howard Fairley, behauptet, dass der Dome ihres Vaters kein geodätischer Dom sei und das Design in diesem Sinne nicht von Buckminster Fuller stamme. Es handele sich bei dem Vitra-Dome eindeutig um einen „Charter-Sphere Dome“. Ihre Argumentation ist schwer nachzuvollziehen, da sie ebenfalls behauptet, dass die meisten der „geodesic domes“ in der Welt von ihrem Vater stammen. Selbstverständlich handelt es sich bei dem Vitra-Dome um eine geodätische Struktur, auch wenn hier ein Kuppelsegment und nicht eine von Buckminster Fuller häufig favorisierte Halbkuppel konstruiert wurde.


 Auf der anderen Seite sollte man nicht unerwähnt lassen, dass Bucky Fuller nicht der erste war, der eine geodätische Kuppel erbaut hat. Die von den Griechen inspirierte geodätische Dreiecksstruktur hat erstmals Walther Bauersfeld (1879-1959) technisch im Jahre 1924 als Projektionskuppel für das Planetarium in Jena umgesetzt (Abb. oben).

Der Begriff „geodätisch/geodesic“

Die Bezeichnung „geodesic“ ist abgeleitet von dem altgriechischen ‚Erde‘ und δαΐζειν daízeïn‚ teilen und messen. Vor ca. 2300 Jahren, nachdem Aristoteles die Kugelgestalt der Erde nachweisen konnte, versuchten die Griechen, die Erdoberfläche oder einfach nur runde Körper zu vermessen, indem man diese in Dreiecke aufteilte. Das Dreieck eignet sich von allen geometrischen Flächen am besten, runde Körper zu bedecken. Mit „gédaízein“ englisch „geodesic“ oder deutsch „geodätisch/Geodäsie“, wird die Land- oder Seemesskunde, sowie die Messkunde für runde Körper bezeichnet.

Bucky Fuller hat erkannt, dass eine Dreiecksstruktur mit Hubs, in denen die Winkel der zusammenlaufenden Stäbe verbunden sind, ein hohes Maß an Stabilität gewährleistet. Eine derartige Netzstruktur verfügt über eine Eigendynamik, die sowohl dem Aufbau der Skelettstruktur, als auch den Traglasten des Zeltes zugute kommt. Das Wichtigste aber: Sie trotzt Sturmböen, die in die Zeltwände fahren. Vorausgesetzt ist allerdings eine feste Verankerung der Kuppel im Boden.

Die Standsicherheit und die Festigkeit der Netzstruktur (structural integrity) sowie deren Spannung (tension) befinden sich demnach in einem ständigen Wechselspiel: Die Spannung muss dem Druck standhalten. Bucky hat das poetisch formuliert: „small islands of compression in a sea of tension“ und bezeichnete das statische System der Kuppelkonstruktion mit dem Begriff „tensegrity“ - eine Zusammensetzung aus „tension“ und „integrity“. Im Jahre 1962 ließ er sich das statische Prinzip patentieren. Es soll allerdings nicht verschwiegen werden, dass die Idee der „tensegrity structures“ auf den amerikanischen Künstler Kenneth Snelson, mit dem Bucky zeitweise zusammengearbeitet hat, zurückgeht. Das aber wurde vom Erfinder des geodesic dome nie erwähnt.  



Schließlich noch ein weiteres Erklärungsmodell zum „geodesic dome". Im Jahr 1985, also zwei Jahre nach Buckys Tod, gelang es Harold Kroto, Robert Curl und Richard Smalley,  ein Kohlestoffmolekül (C 60) zu generieren. Unrter anderem deswegen wurde das amerikanische Forscher-Gespann 1996 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Da dieses Molekül in seiner Struktur dem Bucky-Dome gleicht, tauften sie es und dessen chemische Varianten „Buckminsterfullerene“ oder abgekürzt „Fullerene“.





 Buckminster Fuller wird häufig mit Erich Haeckels (1834-1919) Bildern von einzelligen Lebewesen, den Radiolarien oder Strahlentierchen, in Verbindung gebracht, da diese eine vergleichbare Struktur seiner geodätischen Konstruktion aufweisen. Bucky bestreitet das, da er nie zuvor derartige Bilder gesehen hat, wie er in einem Vortrag von 1963 erklärte. Doch konnte er nicht ohne Genugtuung feststellen, dass er „the coordinate mathematical system“ gefunden habe, das „with the nature’s structuring“ verwendet wird.





Die Konstruktion des Hubs

Am 29. Juni 1954 wurde „Fuller Richard Buckminster, Erfinder“ das Patent auf seinen „geodesic dome“ erteilt. Die Patentschrift (http://www.google.com/patents/US2682235) enthält die genaue Beschreibung der Technik. 

Als „Herzstück“ der Kuppel dürfte der Hub gelten. Hier kommen die sechs Streben eines Segments zusammen und werden untereinander sowie mit dem Zelt verbunden. Damit die Ringspannung dem äußeren Druck und dem Lastdruck standhält, ersann Bucky ein komplexes dynamisches System, das er in der Grafik links detailliert erläutert hat.

In Fig 7 der Patentschrift stellt er einen Schnitt dar, in dem linker und rechter Hand 2 Streben mit einem Flansch (46) in das kugelförmige Gebilde hineinragen. Etwas verwirrend erscheint die Trichterform mit einem Bolzen, die in die Kugel hineinragt. Bucky beschreibt das Gebilde als eine „ball-like fist“. Wir  müssen uns also eine Faust vorstellen mit der Oberfläche nach oben und dem Daumen unten, der über den beiden Mittelfingern liegt. Nun lassen wir den Daumen immer breiter werden, so dass er alle Finger abdeckt. Die Öffnungen der Faust links und rechts sind für die Streben vorgesehen, und die Löcher für die weiteren vier Streben ergänzen wir horizontal rund herum um die Faust. Dann drücken wir einen tiefen Trichter in die oberen Handfläche -  Bucky spricht von einer „inverted bell“, einer umgedrehten Glocke. Durch den breiten Daumen (also die untere Kugelschale) und den unteren Trichterteil wird eine Schraube oder ein Bolzen (28) gesteckt und mit einer Feder (29) versehen. Der untere Teil der Schraube mündet in einer Öse.



Die Schraubenmutter ermöglicht das Zusammendrücken der Kugelschalen und die Fixierung der Streben. Die Öse wird mit einer Kette verbunden, die hinab zu einer Scheibe auf dem Zelt führt. Unter dem Zelt wird sie mit einer weiteren Scheibe verbunden. Auf diese Weise lässt sich das Zelt aufhängen.

Bei der Feder handelt es sich um ein entscheidendes Konstruktionsteil. Sie ermöglicht Flexibilität für die Streben und für das Zelt. Äußerer Druck, beispielsweise durch Sturmböen, kann kompensiert werden. Wenn das Zelt durch den Wind in Bewegung gerät, gibt das Gestänge bei den entsprechenden Druckpunkten nach und hält den gesamten Körper stabil.

Literatur
Mateo Kries (Hrsg.), Der Vitra Campus. Architektur, Design, Industrie, Weil am Rhein 2014.
Joachim Krausse, Claude Lichtenstein: Your Private Sky: R. Buckminster Fuller. 2 Bde. Baden: 2000, 2001.

Websites
Richard Buckminster Fuller, Patentschrift, 1954: http://www.google.com/patents/US2682235
Buckminster Fullers „tensegrity structures“: https://www.flp.tu-berlin.de/fileadmin/fg53/KIT-Reports/r156.pdf
Über Buckminster Fullers Kuppelkonstruktion: http://www.CJFearnley.com/fuller-faq.html
Statik und Montage: zendome.de/montage
Kuppelräume nach Maß des Menschen: futurumdomes.com









Freitag, 15. April 2016

Mit der Nautilus in eine Parallelwelt




Jules Verne
20 000 Meilen unter den Meeren
Fischer, 1968


Bier ausfahren hat es möglich gemacht. Im Sommer vor fast 50 Jahren, also 1968 (tatsächlich ein halbes Jahrhundert), ging ich als Student einem nützlichen Job nach: Bier ausfahren. Mit dem Bier trinken habe ich mich aber zurückgehalten, denn es galt, meinen Lieblingsautor Jules Verne in einer wunderbaren Ausgabe des Fischer Taschenbuchverlages zu erstehen. Die meisten Romane hatte ich bereits gelesen, doch die Titelbilder betörten meine Augen: Flower Power! We all live in a Yellow Submarine! Die Nautilus mit Kapitän Nemo lag in meinen Händen. Das mit Glanzfolie überzogene Titelbild fühlte sich aufregend an, und ein erstes Aufblättern präsentierte mir in rascher Folge viele Holzstich-Illustrationen der ersten französischen Gesamtausgabe von Pierre-Jules Hetzel (Paris, ab 1863). Ich erwarb einen Schatz und feierte die Stunde mit einer Flasche Bier, vielleicht auch zwei.

47 Jahre später: Der fesselnde Roman Alles Licht das wir nicht sehen von Anthony (hier auf dem Blog) brachte mir Jules Verne, genauer gesagt dessen „20 000 Meilen unter den Meeren“ wieder in Erinnerung. Tatsächlich, dort oben im Regal stehen sie, die schmalen Taschenbücher der Jules-Verne-Ausgabe. Vorsichtig zog ich JV 6 (Jules Verne Band 6) hervor. Da schwimmen sie immer noch über den Buchdeckel, die grün-bunten Fische zusammen mit dem übergroßen Wels, aus dessen Rücken eine knall-bunte Maschine zusammen mit dem würdigen Kapitän Nemo aufsteigen: Die Nautilus. Und dann begann ich mit der Lektüre.

Erstaunlich und wiederum erfreulich, wie viel ich über den Inhalt vergessen hatte. Schon nach den ersten Seiten baute sich Spannung  auf.  Verschlagen auf  ein unheimliches Unterseeboot mit dem Namen Nautilus müssen der Naturforscher Professor Aronnax, dessen Diener Conseil und der kanadische Harpunier Ned Land fürchten, niemals wieder festes Land zu betreten und bis ans Lebensende in dem U-Boot eingeschlossen zu bleiben. Wird das düstere Geheimnis des genialen Kapitäns Nemo gelüftet? Obwohl man sich zu erinnern glaubt, dass die Geschichte einen guten Ausgang nimmt, ist man sich doch nie ganz sicher, ob die Erinnerung trügt. War das Ende nicht doch tragisch? Tragisch und traurig in einer unerwarteten Weise?

Der Roman teilt sich auf in viele abenteuerliche Episoden unter dem Meer. Den fast aussichtslosen Kampf gegen die Riesenkraken erinnerte ich noch, ebenso die unglaublichen Versuche, sich aus der bedrohlichen Umklammerung von Eisblöcken unterhalb des Südpols zu befreien. Die Situation spitzt sich zu. Kapitän Nemo erscheint vor Aronnax, Conseil und dem Harpunier:

„Der Kapitän redete kühl: Meine Herren, es gibt in der augenblicklichen Situation zwei Arten des Todes. 1. Wir werden langsam erdrückt. 2. Wir werden langsam ersticken. Den Hungertod halte ich für ausgeschlossen, denn unsere Lebensmittel reichen wahrscheinlich länger als unser Leben.“

Nach und nach erfuhr ich, was den Kapitän veranlasst haben konnte, seinen Lebenskreis auf das U-Boot zu beschränken. Ihm musste schreckliches widerfahren sein, dass er entschied, sich von der Menschheit zurückzuziehen. Oder war es Zivilisationsmüdigkeit, die ihn in die Einsamkeit trieb?

Kapitän Nemo zu Aronnax: „Am Anfang des Lebens war das Meer, und wer weiß, ob es nicht auch am Ende wieder über dem Leben zusammenschlägt. Hier allein gibt es die große Ruhe. Hier allein haben Tyrannen keine Macht. Auf den Wasserflächen des Ozeans können sie sich noch schlagen und verfolgen, aber schon 10 Meter darunter hört ihre Macht auf. Ach, Monsieur Aronnax, leben Sie mit mir im Schoß des Meeres. Hier allein ist Unabhängigkeit! Hier kenne ich keinen Herren. Hier bin ich frei!“

Oder war es das Meer und nur das Meer, zu dem er sich hingezogen fühlte? Nemo: „O ja. Ich liebe es. Das Meer ist alles. Es bedeckt 7/10 der Erdoberfläche. Der Seewind ist gesund und rein. Es ist eine unermessliche Einöde, in der der Mensch doch niemals allein ist, denn er fühlt, wie das Leben um ihn herum pulst. Das Meer spiegelt ein übernatürliches und wunderbares Dasein wider, es besteht nur aus Bewegung und Liebe, es ist die lebendige Unendlichkeit.“

Nach vielen Seiten konnte ich mich plötzlich erinnern, dass mich damals die langsam sich wandelnde Einstellung des Professors zum Leben fasziniert hat. Wird er sich der Philosophie der Entsagung des Kapitäns soweit nähern können, dass er von der Zivilisation Abschied nimmt? Als kontrastreicher Gegensatz tritt der Naturbursche Ned Land auf. Der Kanadier versucht wiederholt, Gelegenheiten auszumachen, die eine Flucht ermöglichen. Das wiederum erschüttert den Professor in seiner wachsenden Zuneigung zu Kapitän Nemo, denn er verfolgt die Verzweiflung seines Kameraden und muss schließlich beobachten, wie dieser allmählich in düsteren Depressionen versinkt. 

Vor fast einem halben Jahrhundert war ich ein junger Mann, der hoffnungsvoll einem künftigen Goldglanz entgegen studierte – einerseits. Andererseits ließ ich mich aber auch von den 68er Regenbogen-Zeiten begeistern, weniger in politischer Hinsicht, als vielmehr von lockenden Freiheiten und alternativen Lebensformen.

Der bizarre Sonderling Kapitän Nemo wurde mir zusehends sympathischer, bis er die Büchse der Pandora öffnete. Es geschah Ungeheuerliches, und unvermittelt fiel ein düsterer Schatten auf die Nautilus. Aronnax war entsetzt. Welche Konsequenzen wird er ziehen?

Mit der Lektüre von Jules Verne habe ich eine Seereise in die Zukunft und zugleich eine Zeitreise in die Vergangenheit unternommen. Und auf einmal fühlt man sich in der Gegenwart so verdammt wohl. 

PS
Die von mir aus nostalgischen Gründen so hoch gelobte Ausgabe ist heute vielleicht nur noch antiquarisch zu erhalten. Doch aktuelle Jules-Verne-Bände, beispielsweise diejenigen aus dem Diogenes-Verlag, enthalten ebenfalls sämtliche Illustrationen der Pariser Erstausgabe. Außerdem ist der Züricher Verlag bekannt für seine erlesene Titelbild-Kultur.